"Kein Geld war vor ihm sicher"

Das Ergebnis der Nachforschungen im Untreue-Fall an der Oberen Kyll ist zwiespältig: Einerseits sollen die Tricks des Kämmerers kaum zu entdecken gewesen sein. Andererseits weisen die Prüfer auf zahlreiche Schwachstellen und Versäumnisse in den Verwaltungen von Verbandsgemeinde (VG) und Landkreis Vulkaneifel hin.

 Rund 80 Bürger verfolgten die Sondersitzung des Verbandsgemeinderats in der Aula der Graf-Salentin-Schule Jünkerath. TV-Foto: Marcus Hormes

Rund 80 Bürger verfolgten die Sondersitzung des Verbandsgemeinderats in der Aula der Graf-Salentin-Schule Jünkerath. TV-Foto: Marcus Hormes

Jünkerath. Der geständige und nach schwerer Krankheit im Juli gestorbene Kämmerer der VG Obere Kyll hat in 13 Jahren 2,53 Millionen Euro unterschlagen und fast alles ausgegeben (der TV berichtete). Die von der VG beauftragte Beratungsgesellschaft des Gemeinde- und Städtebunds (Gekom) und das Gemeindeprüfungsamt der Kreisverwaltung Vulkaneifel stellten ihre Berichte dem VG-Rat vor. "Wir wollen mit den Erkenntnissen später Handlungsempfehlungen diskutieren und umsetzen", schickte Bürgermeister Werner Arenz (CDU) voraus.Gekom-Geschäftsführer Stefan Meiborg überraschte mit einer General-Absolution: Das vom Kämmerer geschaffene System sei "von solcher Raffinesse" gewesen, "dass es mit normalen Kontroll-Mechanismen nicht zu entdecken war. Die gründlichste Verwaltung wäre darauf hereingefallen."

Gekom-Mitarbeiter Werner Bauerfeld erklärte die komplizierten Tricks bei den 77 Unterschlagungsfällen. So nutzte der Kämmerer die Zeit bis zur Erstellung des Jahresabschlusses, wenn Verwaltungen parallel mit Kassenbeständen des alten und neuen Jahres arbeiten. "Die auf dem Vortragskonto stehenden unterschlagenen Beträge übertrug er wie eine Bugwelle jeweils vom alten ins neue Haushaltsjahr", erklärte Bauerfeld. Dadurch hätten die Manipulationen nicht auffallen können, denn die Abschlüsse stimmten.

1997 legte sich der Kämmerer eine eigene Personennummer für Buchungen an, die er zum Abzeichnen von Kassenanweisungen beliebig ändern konnte. So floss letztlich Geld auf sein Privatkonto. Ab 2002 veränderte er Bildschirmausdrucke durch Abschneiden und Kopieren zu seinen Gunsten. "Kein Geld war vor ihm sicher, auch nicht das Sparbuch der Betriebsgemeinschaft", stellte Bauerfeld fest.

Auszahlungen ohne die nötigen Anordnungen

Nach Auffassung der Gekom hätte es Prüfern auffallen müssen, dass Kassenkredite der Gemeinden oft zu hoch waren. Durch solche Kredite wurden die unterschlagenen Summen letztlich abgedeckt. Die Schwachstellen-Analyse reicht von einer fehlenden Dienstordnung und missachteten Anweisungen über Mängel der EDV-Systeme bis zur Gutgläubigkeit der Mitarbeiter.

Berthold Schmitz, Leitender staatlicher Beamter der Kreisverwaltung, verwies auf eine "unglückselige Anhäufung von Aufgaben in einer Person, die als vertrauenswürdig galt". Der Leiter der VG-Finanzabteilung war gleichzeitig EDV-Administrator und übernahm Aufgaben der Kassenführung und -prüfung. 2003 und 2005 gab es keine Kassenprüfungen. Weiteres Problem: Auszahlungen ohne Anordnung, etwa über Bar-Schecks.

CDU-Fraktionssprecher Hans-Josef Möller erwähnte hausinterne Organisationsmängel und schoss sich dann auf die Kreisverwaltung ein: "Die überörtlichen Prüfungen haben in all den Jahren total versagt." Auch SPD-Sprecher Ewald Hansen kritisierte, dass das Gemeindeprüfungsamt fehlende Seiten und fehlerhafte Buchungen nie bemerkte.

Walter Pickartz (FWG) verlas eine lange Mängelliste zu VG und Kreis. Schmitz wies jede Kritik entschieden zurück: "Die Kasse hat gestimmt. Das kann ein Dritter nicht finden."

"Natürlich sind verwaltungsseitig Fehler gemacht worden, auch von mir", räumte Arenz ein. Die Bewertung der Berichtsinhalte folge in Fraktionen, im Hauptausschuss und Ratssitzungen.

Extra So teilt sich die Schadenssumme auf (Zahlen gerundet): VG Obere Kyll 1,28 Millionen Ortsgemeinde Lissendorf 630 000 Euro Stadtkyll 500 000 Euro Jünkerath 112 000 Euro Steffeln 14 000 Euro. Auf Vorschlag der VG-Verwaltung beschloss der Rat einstimmig, den Ortsgemeinden deren Schaden auszugleichen (1,25 Millionen Euro) und zusätzlich 4 Prozent Zinsen (177 000 Euro) zu überweisen. 226 000 Euro hat die Eigenschadenversicherung der VG gezahlt. Im Auftrag der VG prüft ein Rechtsanwalt, welche Stellen haftbar gemacht werden können. (cus)

Meinung

Der Kampf geht weiter

Die Sondersitzung des Verbandsgemeinderats Obere Kyll hat durchaus viele Erkenntnisse gebracht. Die Frage nach den weiteren Schuldigen, die die kriminellen Machenschaften des Kämmerers ermöglichten beziehungsweise übersahen, wurde jedoch nicht eindeutig beantwortet. Das Grundübel: Trotz aller Erklärungsversuche ist das System zu verworren, um von Laien vollends durchblickt werden zu können. Die Ratsmitglieder müssen sich weiter durchkämpfen, ohne dass eine neutrale staatliche Stelle eine Art Anklageschrift mit klaren Aussagen vorlegt, wie es bei Gericht geschieht. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren nach dem Tod des Kämmerers eingestellt. Die Gekom sieht sich nur als Berater. Die Kreisverwaltung ist selbst betroffen. Fest steht: Auf verschiedenen Ebenen gab es Fehler und Versäumnisse. Im Gegensatz zum Bürgermeister fehlt bei den Kreis-Vertretern allerdings bisher jegliche Selbstkritik. m.hormes@volksfreund.de

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