Kindesmissbrauch: Immer mehr Verdachtsfälle

Bitburg/Prüm · Immer öfter rufen Menschen das Jugendamt des Eifelkreises an, weil sie den Verdacht haben, dass Kinder misshandelt, missbraucht oder vernachlässigt werden. Die Folge der Wachsamkeit: Im Kreis werden mehr Kinder in Obhut genommen als im Landesvergleich üblich.

Bitburg/Prüm. Ein Junge, der auf einem Bauernhof immer wieder missbraucht wird; ein vernachlässigter Säugling, der an Unterernährung stirbt; oder der kleine Junge, der von seinem Vater zu Tode geschüttelt wird. Während die Gerichte noch dabei sind, aufzuarbeiten, was diesen Kindern aus dem Eifelkreis Bitburg-Prüm in den vergangenen Jahren angetan wurde, kommen 2011 schon die nächsten Schreckensmeldungen aus der idyllischen Eifel. Wieder ein Kind, das halb totgeschüttelt wird. Wieder Missbrauchsfälle. Und ein ausgesetztes Baby (der TV berichtete). Die Spitze des Eisbergs.227 Verdachtsfälle

227-mal haben sich Menschen 2010 an das Jugendamt Bitburg-Prüm gewandt, weil sie den Verdacht hatten, dass ein Kind misshandelt, missbraucht oder gefährlich vernachlässigt wird. Damit stand der Eifelkreis landesweit an zweiter Stelle. Und 2011 werden es noch deutlich mehr sein. Jugendamtsleiter Josef Winandy rechnet bis Ende Dezember mit insgesamt 320 Verdachtsfällen. Zahlen, die in krassem Gegensatz dazu stehen, dass die Ausgangsbedingungen in der Eifel deutlich besser sind als andernorts. Einer Studie des Instituts für sozialpädagogische Forschung in Mainz zufolge, ist der Eifelkreis durch einen "deutlich unterdurchschnittlichen Belastungsindex gekennzeichnet": Denn es gibt weniger Sozial- und Arbeitslosengeldempfänger und auch weniger alleinerziehende Mütter als im Landesschnitt. Gruppen, die der Studie zufolge eher mal die Hilfe des Jugendamts brauchen. Dass das Jugendamt dennoch so oft eingeschaltet wird, liegt laut Winandy aber nicht daran, dass es im Eifelkreis mehr gefährdete Kinder gibt. Sondern daran, dass die Menschen inzwischen genauer hinsehen. "Sobald so ein Fall in den Medien auftaucht, gibt es mehr Meldungen", sagt er. Zudem sei es im Dorf schwieriger, etwas zu verbergen. Für die Mitarbeiter des Jugendamts bedeutet das jede Menge Arbeit. Obwohl die Zahl der Stellen im sozialen Dienst auf sieben erhöht wurde, betreut jeder Mitarbeiter etwa 61 Fälle im Jahr. Das sind 15 mehr als im Landesschnitt. Auch bei den Kindern, die aus ihren Familien herausgenommen werden mussten, liegt der Eifelkreis deutlich über dem Schnitt: 2010 waren 47 Kinder akut gefährdet. 2011 werden es wohl genauso viele sein. Das entspricht statistisch 2,81 von 1000 Kindern unter 18. Im Schnitt der rheinland-pfälzischen Landkreise waren es 2010 nur 1,67. Als Folge solcher Inobhutnahmen sind im Eifelkreis derzeit 115 Kinder in Pflegefamilien untergebracht und 88 in Heimen. Zwischen 35 000 und 120 000 Euro kostet den Kreis eine solche Betreuung pro Jahr. 300 Familien begleitet

Zudem werden rund 300 Familien sozialpädagogisch an bis zu 15 Stunden in der Woche begleitet - etwa fünf Prozent mehr als 2010. Die finanzielle Folge: Insgesamt hat der Kreis 2010 rund 8,6 Millionen Euro für erzieherische Hilfen ausgegeben. 2011 wird es eine halbe Million mehr sein. Dennoch sagt der bei der Kreisverwaltung zuständige Geschäftsbereichsleiter Stephan Schmitz-Wenzel: "Es ist positiv, dass wir viele Fälle haben." Denn zum einen zeige es, dass das Jugendamt so früh wie möglich hinschaue und handele. Zum anderen aber auch, dass die Menschen im Eifelkreis wissen, wo sie Hilfe bekommen und diese auch annehmen. Trotz der miserablen Haushaltslage will das Jugendamt diese Linie beibehalten. Streetworker, Schulsozialarbeiter, Familienbildung in Kitas oder auch Angebote wie gemeinsames Kochen sollen dazu führen, dass Hilfe immer früher dort ankommt, wo sie gebraucht wird. Und Schreckensmeldungen seltener werden. Meinung

Bei Kindern darf man nicht sparenEs gibt heute wahrscheinlich nicht mehr Verbrechen an Kindern als früher. Aber zum Glück gibt es mehr Menschen, die genau hinschauen und bereit sind, etwas dagegen zu unternehmen. Mehr Menschen, die das Jugendamt informieren, den Opfern helfen oder hilfsbedürftige Familien beraten, damit es gar nicht erst so weit kommt. Zum Glück setzt sich auch die Lokalpolitik für den Kinderschutz ein. Obwohl dies sehr viel Geld kostet, das der Eifelkreis nicht hat. Und das sollte auch so bleiben. Ganz egal, wie schlimm der Haushaltsplan in Zukunft auch aussehen mag: Bei den Kindern darf nicht gespart werden! Beim Kinderschutz geht es schließlich nicht um Luxus, sondern um Leben. k.hammermann@volksfreund.de

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