Lag es am Schiedsrichter?

Ich gebe zu, die Versuchung ist groß, noch einmal auf die Ergebnisse der Wahlen des vergangenen Sonntags einzugehen: Mir Gedanken zu machen darüber, warum die Sieger an der Mosel, in der Eifel oder in Berlin den Grund für den Sieg stets bei sich selbst, die Verlierer - je knapper das Ergebnis desto mehr - den Grund für ihre Niederlage bei anderen suchen und vor allem auch zu finden glauben. Das ist allerdings nicht nur bei Wahlen so, sondern an vielen Stellen: beispielsweise auf dem Fußballplatz, wo die Sieger aus eigener Sicht natürlich famos gespielt haben, die Verlierer dagegen mit Platzverhältnissen, Ball, Wetter oder Schiedsrichter hadern.

Dabei steht außer Zweifel, dass kritische Selbstreflexion meist zu differenzierterer Analyse und in der Folge zu einer größeren Verbesserung der eigenen Performance führt. Also zu einer - im besten Fall - positiven Veränderung an der Stelle, an der man am schnellsten und einfachsten etwas verändern kann. In den meisten Zeitungsredaktionen wird intern versucht, dem natürlich auch bei Journalisten auftretenden Hang zur Schuldzuweisung bei fehlerhafter oder enttäuschender Leistung entgegenzuwirken. Täglich nehmen sich die Kollegen ihr Produkt vor und machen Blattkritik. Und ob Sie es glauben oder nicht: Die meisten gehen eher zu kritisch als zu freundlich mit der eigenen Arbeit um. Wir können allerdings auch nicht einfach behaupten, dies oder das hätten wir gar nicht gesagt oder getan, wie es Politiker und Promis, die sich über eine eigene Aussage ärgern oder sie bereuen, gerne tun. Denn das Ergebnis unseres Tuns steht in der Zeitung - und ich garantiere Ihnen, dass mindestens 95 Prozent der nachträglichen Behauptungen eine - meist umstrittene - Aussage sei nicht gemacht und von Journalisten erfunden worden, nicht stimmen. Auch dieses Phänomen ist so alt wie der politische Journalismus. Neu und erstaunlich ist, wie viele Menschen Behauptungen von Parteien oder Kandidaten Glauben schenken, obwohl diese offensichtlich Eigeninteressen vertreten, während sie Journalisten, für die eine Wahl oder eine politische Entscheidung keine relevanten persönlichen Folgen hat, für parteiisch halten. Vielleicht war aber auch das schon immer so. Vielleicht gab es die Gruppen, die ihrem Favoriten fast alles glauben, in gleicher Größe schon immer. Der Unterschied wäre dann, dass sie heute ihre Meinung in einer neuen Form der Öffentlichkeit - praktisch mühe- und kostenlos - im Netz verbreiten können. Sie wären damit also nur sichtbarer. <%LINK auto="true" href="http://www.volksfreund.de/kolumne" text="www.volksfreund.de/kolumne" class="more"%> Klartext Kolumne

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