Live im Brennpunkt der Geschichte

Seit Jahrhunderten ist der Nahe Osten ein Brennpunkt der Geschichte. Da ist es nur folgerichtig, dass sich ein Vortrag der gleichnamigen Veranstaltungsreihe des Geschichtsvereins Prümer Land ebenfalls mit dieser Krisenregion beschäftigte. Nahost-Korrespondent Ulrich Sahm versuchte, den rund 200 Besuchern die Ursachen und Hintergründe dieses Konflikts zu erklären.

 Nahost-Korrespondent Ulrich Sahm.TV-Foto: Christian Brunker

Nahost-Korrespondent Ulrich Sahm.TV-Foto: Christian Brunker

Prüm. "Sie haben keine Ahnung, was da unten eigentlich passiert", begann Ulrich Sahm seinen Vortrag zum Thema "Die aktuelle Lage in Nahost - von Israel bis zum Iran". Doch schon der nächste Satz nahm dieser Einleitung die Überheblichkeit. "Ich habe nämlich auch keine Ahnung." Wäre es dabei geblieben - es wäre ein kurzer Vortrag geworden. Doch Sahm versuchte in den folgenden zwei Stunden zu vermitteln, warum wir alle keine Ahnung von den aktuellen Vorgängen im Gazastreifen haben und erläuterte die Hintergründe des Konflikts seit dem Beschluss der Briten, den Juden das Land westlich des Jordan zu versprechen - als es ihnen noch gar nicht gehörte. Dabei half dem 58-jährigen Journalisten seine Erfahrung aus 30 Jahren Berichterstattung aus der Krisenregion.

Der Propaganda der Hamas ausgeliefert



"Ich habe noch keinen Krieg erlebt, bei dem die Presse und damit die Öffentlichkeit so vom Geschehen abgeschnitten worden sind", sagte Sahm. Das Einzige, was die ausländischen Journalisten mit eigenen Augen sehen könnten, sei eine Rauchwolke, den man von der südisraelischen Stadt Sderot aus sehen könne. Leider könne man nicht mehr sagen, als dass es eine Rauchwolke sei. "Was da brennt, was da getroffen wurde? Keine Ahnung." So kämen die einzigen Bilder aus dem Gazastreifen von den dort arbeitenden palästinensischen und arabischen Journalisten, die auf Anweisung der Hamas nur noch Bilder von toten und verletzten palästinensischen Frauen und Kindern zeigten. "Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Seit Beginn des israelischen Angriffs sieht man keine toten Hamas-Kämpfer mehr", sagt Sahm. Dieser Propaganda sei man ausgeliefert. Die Hamas vertusche, wie hart sie offenbar getroffen worden sei. "Aber genau weiß ich es natürlich nicht", sagt Sahm. Die Hamas sei von dem Angriff völlig überrascht worden, sie hätte niemals damit gerechnet, dass die Israelis am Sabbat angreifen würden.

Bei der Frage, wie denn eine Lösung des Konflikts aussehen könnte, flüchtet sich Sahm in den Zynismus. Wann seien denn Konflikte auf der Welt jemals wirklich gelöst worden? Selbst im ach so friedlichen Europa gebe es vom Baskenland über Nordirland bis zum Kosovo und Georgien so viele ungelöste Probleme. "Nach den meisten großartigen Lösungen eines Konflikts fingen die wirklichen Probleme erst an", sagt Sahm. Etwa mit der Teilung des britischen Mandatsgebiets in einen jüdischen Staat und einen arabischen Staat, das spätere Jordanien. Auch eine dieser tollen Lösungen, die heute für viele Konflikte verantwortlich seien.

Für den Angriff der Israelis auf den Gazastreifen zeigt Sahm Verständnis. Ein Sechstel aller Israelis seien durch den Raketenbeschuss der Hamas bedroht, kein Staat könne dies auf Dauer akzeptieren. Außerdem habe er noch nicht gehört, dass die Israelis aus Vergeltung Schulbusse mit palästinensischen Schulkindern in die Luft sprenge. Dann berichtet Sahm von seiner persönlichen Erfahrung mit dem Terror. Gebannt verfolgt das Publikum, wie er nur wenige Sekunden einem Selbstmordanschlag in der Jerusalemer Fußgängerzone entging - weil er auf einen Begleiter wartete, der lange auf der Toilette brauchte. Schulkameraden seiner Tochter hatten weniger Glück.

Zum Abschluss konnten die Besucher den Auslandskorrespondenten bei der Arbeit beobachten. Schon zu Beginn seines Vortrags hatte Sahm zwei Handys gezeigt und gesagt, dass er minütlich die Information erwarte, dass die Israelis einen einseitigen Waffenstillstand erklärten - zum einen, um die Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Obama nicht zu stören, zum anderen, um der Hamas wieder den Schwarzen Peter zuzuschieben. Um 21.52 Uhr war es tatsächlich so weit, Ehud Olmert verkündete die Waffenruhe und Prüm war live dabei.ExtraUlrich Sahm wurde 1950 geboren und wuchs in London und Paris auf. Nach seinem Abitur 1968 in Heppenheim, begann er ein Studium der evangelischen Theologie, Judaistik und Linguistik. 1970 wechselte er den Studiengang und studierte Hebräische Literatur in Jerusalem. Als Nahost-Korrespondent für verschiedene deutsche Medien arbeitet er seit Mitte der 70er Jahre. Der Journalist lebt mit seiner zweiten Ehefrau, der israelischen Fotografin Varda Polak-Sahm, in Israel. (cju)

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