Missbrauchsprozess in Trier: "Wie eine normale Kindheit abläuft, weiß ich nicht"

Trier · In ingesamt 87 Fällen soll sich ein Eifeler an seinen drei Kindern vergangen haben. Vor Gericht bestreitet er die Vorwürfe. Die Aussagen seiner Söhne belasten ihn am ersten Prozesstag aber schwer.

Im Fernsehen lief "Tim und Struppi", als sein Vater ihn gebeten haben soll, zu ihm rüberzukommen, auf das Ausziehsofa. Dann habe er ihn sexuell missbraucht. Acht sei er damals gewesen. Heute, fast 20 Jahre später, erhebt er vor dem Landgericht diese Vorwürfe gegen seinen Vater, den er vor Gericht nur "den Angeklagten" nennt.
Der Angeklagte: Während sein Sohn im Zeugenstand weitere Vorfälle schildert, sieht der Angeklagte ihn nicht an. Er sitzt einfach nur da, in seinem gestreiften Hemd, blickt an die Decke oder auf den Tisch. In insgesamt 87 Fällen soll er sich an seinen zwei Söhnen und seiner Tochter vergangen haben - in der Polizeischule, in der er gearbeitet hat und in seinem Haus, zuerst in Hessen, dann in der Eifel. So lautet die Anklage im Landgericht Trier.
Er selbst bestreitet die Vorwürfe: "Das ist von vorne bis hinten unwahr", sagt er. Vielmehr sei er stolz darauf, dass er sich so gut um seine Kinder gekümmert habe - anders als seine Exfrau. Die habe ihn für einen anderen verlassen.
Überhaupt scheint sein Leben von Zurückweisungen geprägt zu sein. "Meine Mutter wollte mich nicht", sagt er. Deshalb kam er schon nach der Geburt in ein Heim. Auch seine erste Frau verließ ihn: "Ich war praktisch Luft für sie." Als es dann nach 14 Jahren Ehe auch mit der Mutter seiner Kinder nicht geklappt habe, sei er zusammengebrochen. Er habe kaum geschlafen, fast zehn Kilo abgenommen, dabei jedoch weiter alleine für die Kinder gesorgt.
Warum sie ihn so schwer belasten sollten? "Aus Rache", meint der Angeklagte. Seinen Jüngsten habe er beim Diebstahl erwischt, dem Älteren das Erbe entzogen.
Der zweite Zeuge: Der älteste Sohn sitzt jetzt im Zeugenstand, wippt mit dem Fuß auf und ab. Immer wieder reibt er seine Hände, fährt sich über das Gesicht. Auf die Fragen des Richters Armin Hardt antwortet er meist einsilbig: "ja", "nein", "weiß nicht mehr". Seine Stimme hoch und zittrig. Vor jedem Satz macht er eine Pause, als müsste er über die Antwort nachdenken.
Obwohl er schon 31 Jahre alt ist, wirkt er wie ein Kind. Bevor er auf dem Stuhl Platz nimmt, sagt sein Bruder noch:"Ich würde ihm am liebsten das Händchen halten", solche Angst habe er auszusagen. Auch privat kümmert er sich wohl um den dünnen Mann, der nach eigenen Angaben seit rund zehn Jahren ein Alkoholproblem hat, wegen der Sucht und Depressionen in Therapie sei.
Es dauert eine Weile, bis der 31-Jährige auf den mutmaßlichen Missbrauch zu sprechen kommt: In der Polizeischule habe sein Vater ihm einen Porno gezeigt, erzählt er, und ihn währenddessen sexuell misshandelt. Zu solchen Vorfällen sei es während der Zeit, in der er bei dem heute 67-Jährigen wohnte, öfter gekommen - auch im Kindsbett.
Wie oft genau, könne er heute nicht mehr sagen: "Es war immer derselbe Ablauf." Als Hardt ihn nach Details fragt, schweigt der Zeuge, fasst sich an die Stirn, die Augen geschlossen. "Brauchen Sie eine Pause?", fragt der Richter. Er nickt. Die Verhandlung wird für fünf Minuten unterbrochen. Auch danach bleibt seine Erinnerung lückenhaft.
Wie es weitergeht: Auch die Tochter des Angeklagten erhebt den Vorwurf, dass sie von ihm sexuell missbraucht wurde. Sie will vor Gericht nicht aussagen. Doch weitere Zeugen sind geladen, einige Verhandlungstage stehen noch an. Die beiden Brüder treten als Nebenkläger auf.
Noch heute wache er oft schweißgebadet auf, träume von den Taten, sagt der 27-jährige Sohn des Angeklagten. "Tim und Struppi" sei für seine Kinder tabu. Die Erinnerung sei erst mit den Jahren gekommen. Damals, als er noch ein Kind war, sei das alles selbstverständlich gewesen. Heute sagt er: "Wie ‚ne normale Kindheit abläuft, weiß ich nicht."
Die Verhandlung wird am Montag, 29. Mai, um 9 Uhr fortgesetzt.

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