Mit der Post zurück zur Geschichte

Lieser · Eigentlich wollte der Hamburger Hans-Ludwig Meyer bloß wissen, wo es an der Mosel guten Wein gibt. Von dem moselländischen Weinangebot in den norddeutschen Regalen bitter enttäuscht, suchte er ein Haus an der Mosel, um sich vor Ort intensiv der Weinforschung hingeben zu können. 1994 kauften er und seine Frau ein Haus des Gebäudeensembles, das einst den Lieserer Posthof bildete.

Lieser. "Damals wusste ich von der Post, mit was man einen Brief frankiert, mehr nicht", blickt Gudrun Meyer zurück. Das sollte sich von Grund auf ändern. Bei der Renovierung wurde den beiden Hamburgern schnell klar, dass ihr Haus viel älter sein musste als beim Kauf angegeben: "Einmal an der Wand gekratzt und das frühe 17. Jahrhundert kam hervor."
Die beim Kauf genannte Jahreszahl 1896 markierte bloß den Zeitpunkt eines Umbaus, "bei dem man sich schwer versündigt hat", ärgert sich Gudrun Meyer darüber, dass eine Betondecke eingezogen und die Arkadenbögen im Hof entfernt wurden, unter denen einst die Pferde der reitenden Post beladen wurden.
Fasziniert von der historischen Bedeutung des Posthofs tauchte das Ehepaar immer tiefer in die Erforschung der Postgeschichte ein. Der Wein wurde zur Nebensache. Sie lasen sich in die Fachliteratur ein, ärgerten sich über "Unsinn" darin, gerieten mit anderen Forschern in Streit, durchstöberten selbst die Archive, arbeiteten ihre Erkenntnisse wissenschaftlich auf und stellten ihre Forschungsergebnisse in das Internetlexikon Wikipedia. Sie kauften weitere Gebäudeteile des Posthofs auf, um sie für den Denkmalschutz zu retten, restaurierten und forschten bis 2007 intensiv weiter.
Sie vereinten die beiden voneinander abgetrennten Teile des Posthauses wieder, voller Begeisterung für die noch ursprünglich erhaltenen Innenräume des linken Hauses mit einem aus Ziegeln und Schiefer gemauerten Backofen vom Ende des 19. Jahrhunderts.
Durch das Haus kam das Interesse für die Geschichte wieder. "Hier konnte ich mich austoben", schwärmt Gudrun Meyer, die in Hamburg nach einem BWL-Studium Ägyptologie und einige Semester Geschichte studiert hatte. "Sie war wie entfesselt beim Renovieren", frotzelt ihr Mann. Wie seine 66-jährige Frau hatte der 71-Jährige bis zur Rente als Betriebswirt gearbeitet, vorher aber ein Geschichtsstudium abgebrochen. Er bezeichnet sich und seine Frau inzwischen als "die einzigen Kenner der älteren Postgeschichte" mit besonderem Schwerpunkt auf dem Thema Thurn und Taxis. Bei ihrem Studium der Kirchenbücher, in denen sie nach den Postmeistern suchten, erfuhren die Hamburger auch viel über die Lieserer Dorfgeschichte.
Gudrun und Hans-Ludwig Meyer führen Interessierte nur allzu gerne durch die Gebäude, die sie als Museum betrachten. In Zeichnungen präsentieren sie eigene Rekonstruktionen, stellen historische Dokumente aus und haben die niederländische Postlinie von Brüssel über Lieser nach Innsbruck an die Wand gemalt. "Das ist die bestdokumentierte Poststation im deutschen Raum", sagt Hans-Ludwig Meyer ganz unbescheiden und ärgert sich über das geringe Interesse der heutigen Postbeamten.
Das hatte sich das Ehepaar anders vorgestellt und eine Pension für 16 Gäste eingerichtet. Im Gewölbekeller, wo heute noch die Tische mit Stühlen für Zuhörer stehen, wollten sie Vorträge halten. Nach enttäuschenden Erfahrungen haben sie 2006 nach acht Jahren die Herbergstätigkeit aufgegeben.
Über ein neues Konzept denken sie nicht mehr nach. Aber einen Plan gibt es doch: Gudrun und Hans-Ludwig Meyer wollen ihren Teil des Posthofs einmal dem Denkmalschutz vermachen.
HISTORIE DER POSTSTATION IN LIESER


Die Thurn- und Taxissche Poststation in Lieser, die urkundlich das erste Mal 1522 erwähnt wurde, befand sich auf der niederländischen Postroute von Brüssel über Augsburg und Innsbruck nach Italien. Bei der Standortfrage hatte einiges für Lieser gesprochen: Es gab eine Fähre über die Mosel, einen Pferdeverleiher und keine Stadtmauer, die nachts die Reiter samt Post ausgesperrt hätte. 1728 wurde die Poststation geschlossen, weil eine neue Strecke über die Eifel eingerichtet worden war. Bereits ab 1725 waren die Gebäude im Posthof zu Wohnhäusern und Wirtschaftsgebäuden umgebaut und die Arkaden zugemauert worden. Das Posthaus wurde geteilt. 1883 befand sich im einen Teil eine Schmiede, im anderen eine Bäckerei. Weitere Umbauten erfolgten 1896 und 1934. Nach dem Ersten Weltkrieg zogen Winzer dort ein. Von 1994 bis 2005 restaurierten Hans-Ludwig und Gudrun Meyer das Posthaus, angrenzende Wirtschaftsgebäude und die Keller. Heute stellt das Ehepaar dort archäologische Funde und Dokumente zur Postgeschichte aus. Besichtigungen können telefonisch unter 06531/94318 oder 040/7355103 vereinbart werden. sys

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort