Morscher Stamm, medizinballgroßes Loch

Trier · Dass sein Stamm nahezu komplett morsch war, hat man dem Baum nicht ansehen können, der am 22. November 2012 im Trierer Rautenstrauchpark umgestürzt ist. Laut dem dritten Gutachter im Strafprozess hätte der angeklagte Baumkontrolleur allerdings Zweifel haben und die Rosskastanie näher untersuchen müssen.

Trier. Kurz bevor der mächtige Baum im November 2012 im Rautenstrauchpark umstürzte, dabei eine 74-Jährige erschlug und seine Äste einem 59-Jährigen die Beine zertrümmerten, hatte die Rosskastanie noch einmal Knospen geschoben. Auch ein paar frische, kleine Blätter sprossen, trotz Herbstwitterung, an den Ästen. Zeichen einer strotzenden Gesundheit waren das allerdings nicht.
Im Gegenteil. "Es handelte sich um Nottriebe - Indizien für die nachlassende Vitalität des Baumes", erläuterte Henrik Weiß am Montagmorgen vor dem Trierer Landgericht. Der promovierte Forstingenieur aus Dresden ist der dritte Gutachter, der im Prozess um den tödlichen Baumunfall aussagt.
Gutachter untersucht Stamm


Auch im ersten Verfahren, 2013, hatte ein von der Staatsanwaltschaft beauftragter Gutachter erklärt, dass der Rosskastanie von außen anzusehen gewesen sein muss, wie morsch ihr Stamm innen war. Im Berufungsverfahren, das seit Oktober läuft, hatte ein zweiter, von der Verteidigung beauftragter Gutachter dagegen ausgesagt, dass der schlechte Zustand der Rosskastanie nicht ohne eingehendere Untersuchung erkennbar gewesen sei. Um den Expertenstreit zu klären, hatte das Gericht Henrik Weiß als dritten Gutachter bestellt (der TV berichtete).
Tatsächlich war dem städtischen Baumkontrolleur, der für den Rautenstrauchpark zuständig war, der kranke Baum am 1. Oktober 2012 aufgefallen. Bei seinem Vorgesetzten im Grünflächenamt meldete er die Rosskastanie für eine eingehende Zweitkontrolle an. Der Vorgesetzte - der angeklagte Gärtnermeister T. - nahm den Baum daraufhin allerdings nur in Augenschein.
Eine genauere Untersuchung verschob er auf einen späteren Zeitpunkt. Dabei hätten laut Drittgutachter Weiß nicht nur die Nottriebe bei dem Angeklagten den Verdacht wecken müssen, dass der Gesundheitszustand des Baums dringend genauer abgeklärt werden muss.
Der Stamm hatte mehrere Höhlungen. Durch eine, 40 mal 40 Zentimeter groß, hätte wohl ein Medizinball gepasst. Dazu die deutliche Vermorschung an den Stellen, an denen die schwere Krone des Baums vor Jahren gekappt worden war, und der Efeubewuchs. "Beim Abklopfen mit dem Gummihammer klang der Stamm rundherum hohl, das muss auch vor zwei Jahren schon hörbar gewesen sein", sagt Weiß.
Eingehend hat der Forstingenieur den Stamm untersucht, der seit dem Unglück im Bauhof des Trierer Grünflächenamts lagert. Stellenweise konnte Weiß einen Eisenstab 90 Zentimeter weit in den bröseligen Stamm schieben, ohne auf festes Holz zu stoßen. All das hätte zu Zweifeln und damit zu einer eingehenderen Untersuchung führen müssen. "Eine Analyse der Baumstatik hätte dann die akute Bruchgefahr aufgezeigt und dass der Baum möglichst schnell gefällt werden muss", sagte Weiß vor Gericht.
Richter, Staatsanwaltschaft, Verteidiger und die Vertreter der Anklage verzichteten auf umfangreiche Nachfragen. "Für die Urteilsfindung wird es nicht nur um die Frage der Vorhersehbarkeit des Unglücks gehen, sondern auch darum, welche Handlungen dem Angeklagten zumutbar gewesen sind", kündigte Richter Peter Egnolff an.
Die Plädoyers folgen am Freitag, das Urteil ist für Dienstag, 23. Dezember, angekündigt. cwoExtra

Doppel so alt wie bisher angenommen soll der Trierer Unglücksbaum vor seinem Sturz gewesen sein. Gingen die beiden vorherigen Gutachter von rund 80 Jahren aus, bestimmte Drittgutachter Weiß das Alter der Rosskastanie auf zwischen 165 und 195 Jahre. Während die Altersangabe der ersten Gutachter auf Schätzungen beruhte, hat Weiß die Jahresringe des Baumstamms mit wissenschaftlichen Methoden eingehend analysiert. Rosskastanien haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von rund 200 Jahren. woc

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