Mutter und Schwester sterben bei Bomben-Einschlag

ESCH. Vor 60 Jahren, am 8. Mai 1945, ging der Zweite Weltkrieg zuende. Zum letzten Mal veröffentlicht der TV Berichte von Zeitzeugen.

Wie in vielen Schilderungen aus diesen Kriegstagen, gehörte auch im Salmtal das Überfliegen der schweren Bombergeschwader zum Alltag. Ebenso die morgendlichen Angriffe der Jabos (Jagdbomber). Die Front aus der Eifel rückte näher Richtung Esch, man hörte allabendlich die schwere Artillerie; in den Häusern und Familien wurde gebetet und überlegt: Wo gehen wir hin, wo sind wir sicher, wenn die Amerikaner anrücken? Meine Mutter (im achten Monat schwanger) hatte beschlossen dass wir - meine zwei Jahre alte Schwester und die bei uns seit Herbst 1944 evakuierte Mitbewohnerin Frau Ott aus Trier - in unserem Hauskeller bleiben, da er ausreichend Schutz biete. "Wo kann man sicher sein? Treffen kann es einen überall", so war die allgemeine abgestumpfte Einstellung in der vom langen Krieg gezeichneten Bevölkerung. Unser 1937/38 neu erbautes Wohnhaus lag etwas abseits vom Dorf, unmittelbar an der geplanten Autobahn Koblenz-Wittlich-Trier. Am Freitag, 9. März 1945, rückten gegen Mittag die amerikanischen Panzer zum Angriff an. Von Sehlem kommend über den "Schäfereiberg" habe ich mehrere Panzer kommen sehen, weitere näherten sich unten über die Straße Sehlem-Esch der Salm. Sie nahmen unser Dorf - links der Salm gelegen - unter Beschuss. Bald peitschten auch die ersten Schüsse übers Dorf, Einschläge waren zu hören. Auf dem hohen rückseitigen Bergrücken "Fuchsberg" zur Moselseite war eine deutsche Artillerie stationiert, die von dort oben in und übers Tal schoss. Für uns wurde es jetzt Zeit, den Keller aufzusuchen. Zuvor ging ich noch mit unserer Mitbewohnerin in das Dachzimmer, um im Giebel eine weiße Fahne aus dem Fenster zu hängen. Mutter wollte das so. Die Fahne war schon draußen, aber die rückwärtige Befestigung gelang nicht, als in diesem Augenblick wieder Geschosse über unser Haus pfiffen. Wir gerieten auf dem Dachboden in Panik und rannten runter in den Keller; Stock mit Fahne fielen zurück ins Zimmer. Vom Keller aus hörten wir noch einen deutschen Soldaten an der Tür rufen, ob noch alles in Ordnung sei, was wir da noch bejahen konnten. Im Keller saßen wir alle unter der sicheren Kellertreppe, vor uns noch eine quer stehende, tragende Betonwand bis Mitte Kellerraum. Die Kellerfenster zur Ostseite waren mit Scheitholz gesichert. Aber hier traf uns das Schicksal. Ein Panzergeschoss durchschlug unter dem äußeren Treppenpodest die 40 Zentimeter dicke Betonaußenmauer, dann die 25-er Tragwand, traf hier auf die rechtwinklig stehende 25-er Wand, die horizontal gebrochen auf einem Kleiderkorb hängen blieb. In diesem Mauerkreuz explodierte das Geschoss und hat uns alle getroffen. Meine Mutter - links neben mir sitzend - war sofort tödlich am Kopf getroffen, meine zweijährige Schwester - bei Frau Ott auf dem Schoß sitzend - war von Granatsplittern so schwer ebenfalls am Kopf verletzt, dass sie am späten Abend starb. Frau Ott, die schwere Verletzungen erlitt, überlebte. Sie wohnte nach dem Krieg noch viele Jahre in Trier. Ich war besinnungslos. Ich weiß nicht wie lange. Als ich erwachte, sah ich in dem nun dunklen Keller das ganze Leid. Die zuvor angezündete Kerze war erloschen, nur durch das Schussloch kam etwas Tageslicht in den Kellerraum, der voll von Staub und Pulverqualm war. In dieser Situation machte ich mich auf, eilte nach oben. Ob die beiden anderen Geschosse schon das Erdgeschoss durchschlagen hatten oder ob das später geschah, ist mir da noch nicht bewusst geworden. Von der Außentür hatte ich einen Überblick über das obere Dorf und sah in diesem Augenblick, wie die lange Scheune mit Stallungen gerade im First angeschossen war und die ersten Flammen heraus loderten. Angetrieben, Hilfe zu holen, begab ich mich wieder in den Keller, schnappte mir meine Schuhe unter den Arm und sagte zu Frau Ott: "Ich laufe ins Dorf, um Hilfe zu rufen." An der Außentür wartete ich auf eine schussfreie Minute und lief dann querfeldein zum etwa 500 Meter entfernten Haus "Johann Henn". Auf halber Strecke pfiffen dann die ersten drei Artillerie-Geschosse vom Fuchsberg kommend über mich hinweg. Aber bei "Henn" war auch niemand im Haus, alle saßen im Keller. Ich machte mich an der außen liegenden Kellertür bemerkbar, es dauerte etwas, bis mich jemand hörte und öffnete. Zunächst erkannten sie mich nicht, denn ich war im Gesicht schwarz vom explodierten Pulverqualm aus unserem Keller, war an der Stirn durch Steinsplitter blutend verletzt, ein kleiner Splitter in Gesicht und Auge war noch unbemerkt. Ein wenig frisch gemacht, mit Himbeersaft den Mund vom Staub befreit, versuchtender schon ältere Johann Henn und ich, ins Dorf zu kommen. Wir mussten hinunter in den Krameser Weg. Wenige Meter vom Haus entfernt zischten die ersten Geschosse neben uns in die Böschung. Das besorgten die am sonnenklaren Himmel dieses Tages kreisenden Aufklärer die jede Bewegung sofort meldeten, was uns bald zum Verhängnis wurde. Also schnell zurück, wieder zu Henn in den Keller. Hier musste ich noch etwa zwei Stunden warten, dann unternahmen wir den zweiten Versuch, erfolgreich diesmal. Im oberen Dorf sah ich, wie die lange Scheune mit Stallungen schon bis auf den Boden niedergebrannt war. In einem Stall konnte das Vieh noch rechtzeitig von den Ketten gelöst werden, im anderen Stall kam die Hilfe leider zu spät. In der Dorfmitte brannten die Häuser "Mäsch" (Johann Haubrich) und "Mila" (Ignaz Marx). So kam ich nun beim Großvater Johann Hansen und den Tanten Elisabeth und Maria im "Haus Waltisch" an, um meine traurige Nachricht zu überbringen. Mein Großvater brach auf, um mit anderen Männern aus dem Dorf zu meinem Elternhaus zu kommen. Sie versuchten es robbend durch die Feldfurchen und mussten wegen immer noch anhaltendem Beschuss umkehren. Nach 19 Uhr versuchten sie es ein zweites Mal. In den späten Abendstunden kam meine verletzte Schwester im Haus des Großvaters an, wo sie wenig später starb. Frau Ott kam in den Keller zu den Nachbarn Koster. Eine ärztliche Hilfe war nicht am Ort, erst Tage später konnte sie nach Trier in ein Krankenhaus verlegt werden. Am Samstag, dem frühen Morgen des 10. März 1945, waren die Amerikaner im Dorf. Jedes Haus wurde nach Soldaten durchsucht. Die deutschen Soldaten wurden in der Dorfmitte zusammen gebracht, ihrer Waffen entledigt. Sie mussten sich bei "Philippsen" mit erhobenen Händen zur Wand stellen, während sie von hinten visitiert wurden und in Gefangenschaft kamen. In der kommenden Woche wurde meine Mutter mit Tochter in Sehlem beerdigt, Großvater hatte den Sarg angefertigt. Da die Straßenbrücke über die Salm gesprengt war, musste der Sarg unter schwierigen Umständen über den schmalen Steg an der "Escher Mühle" getragen werden. Ich war nun über Nacht alleine, kam wenige Wochen später ohne Eltern zur Heiligen Kommunion. Ich hatte aber ein Zuhause, war versorgt und blieb bis auf weiteres bei meinem Großvater, zur Großmutter väterlicherseits konnte ich ebenso gehen. Mein Vater - zuletzt im Herbst 1944 auf Kurzurlaub, war noch im Krieg. War er in Gefangenschaft oder vielleicht gefallen? Wir wussten es nicht. Sein Einsatz war im holländischen Grenzraum Nijmegen-Arnheim und am "Brückenkopf Wesel", soviel war noch bekannt. Ab diesen Tagen gab es keine Verbindungen mehr. Am Sonntagmittag, dem 9. September 1945, stand überraschend mein Vater vor mir, mit dabei Onkel Johann aus Wengerohr. Er war in englische Gefangenschaft unter Montgomery gekommen und relativ früh nach Hause entlassen worden. Erst bei seinem Bruder in Wengerohr hatte er erfahren, was ihn zu Hause erwarte. Fragen stellten sich: "War es die nachbarliche Nähe der deutschen Soldaten, die die Angreifer vermuten ließ, in unserm Haus sei vielleicht ein "Widerstandsnest"? Hätte die weiße Fahne am Giebelfenster die Schüsse auf unser Haus verhindert? Nach einigen Tagen konnte mein Vater seine Arbeit in der Straßenmeisterei Wittlich wieder aufnehmen. Die Schäden im Wohnhaus hat er mit Maurerhilfe von Johann Henn und Nikolaus Dahm nach und nach beseitigt. Zum kommenden Winter 1945/46 konnten wir wieder gemeinsam hier wohnen. Vater hat eine neue Familie gegründet, für mich gab es eine zweite gute Mutter, und fünf Geschwister kamen dazu. Unsere Mutter lebt noch und ist in guter Verfassung, 83-jährig bei der jüngsten Schwester in Esch, im neuen Elternhaus. Matthias Klar, der Autor dieses Zeitzeugenberichts, ist Jahrgang 1936. Nach Lehre und Studium zum Diplom-Ingenieur (FH) arbeitete er ab 1958 beim Straßenneubauamt und übernahm bis zu seinem Ruhestand die Leitung der Straßenmeisterei Arzfeld, wo er seit 1964 mit seiner Familie lebt.

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