Handel Nach 130 Jahren ist Schluss mit Schuhen in Speicher

Speicher · Elisabeth Müllen ist im Schuhgeschäft ihrer Eltern groß geworden. Jetzt muss sie das Geschäft in Speicher, das es seit 130 Jahren gibt, krankheitsbedingt aufgeben. Erlebt hat sie dort so einiges.

 Elisabeth Müllen lebt mit Schuhen und für Schuhe.

Elisabeth Müllen lebt mit Schuhen und für Schuhe.

Foto: TV/Nora John

Frauen lieben Schuhe! Ein Klischee? „Nein!“, sagt Elisabeth Müllen ganz entschieden. „Es gibt nicht zu viele Schuhe, es gibt nur zu wenig Schrank“, spricht sie vermutlich vielen Frauen aus der Seele. Sie muss es wissen, denn sie ist nicht nur selbst eine Freundin schöner und bequemer Schuhe. Ihr gehört das Schuhhaus Hoffmann im Zentrum von Speicher. Und das ist ihr Leben und ihre Leidenschaft. Eine Leidenschaft, die sie jetzt schweren Herzens  wegen ihrer Krankheit aufgeben muss.

Durch das Leiden, das vor zwei Jahren schleichend begann, kann Elisabeth Müllen heute nicht mehr ihre Arme bewegen. Sie ist bei allen persönlichen Belangen und auch im Geschäft ständig auf Hilfe angewiesen. „Meine Freundinnen sind meine Hände im Geschäft“, sagt sie und lacht dabei.

Bei allen gravierenden körperlichen Einschränkungen ist die 67-Jährige immer noch das Herz und die Seele des Geschäftes. Und wenn sie von Schuhen spricht, gerät sie ins Schwärmen. „Ich habe Schuhe mit der Muttermilch eingesaugt“, verrät Elisabeth Müllen. Schon als Kleinkind habe sie viel Zeit im Hochstühlchen  im Geschäft verbracht. „Ich liebe es, Schuhe anzuprobieren“, sagt sie.  Ob Highheels, flache Lederschuhe oder was auch immer, sie musste jeden Schuh testen, um zu erfühlen, welche Passform er hat. Und das diente all die Jahre, seit sie 1966 im Geschäft der Eltern anfing, auch den Kunden.

Den Menschen, die in das Geschäft kommen, möchte die Geschäftsinhaberin nicht möglichst viele Schuhe verkaufen, sondern nur genau die, die zu den Füßen, dem Typ und dem Alter passen. „Ich kann einer alten Frau keine Sneakers verkaufen“, sagt sie. Außer natürlich, es ist ein besonders sportlicher Typ, dann könnte das passen.

„Ich muss mich in die Person hineinversetzen“, sagt der Schuh-Profi. Sie frage sich immer, ob sie selbst diesen Schuh als dieser Mensch so tragen würde. Dabei stellt sie hohe Ansprüche an ihr Fachwissen. „Der zweite Schuh muss passen“, sagt sie über ihre Beratungstätigkeit. Dass das funktionieren kann, zeigt sich bei einer Kundin, die auf Anraten ihrer Tochter gekommen ist. Elisabeth Müllen geht zielstrebig auf eines der Regale, in denen die Schuhe bis zur Decke hoch gestapelt sind, zu und bittet ihre Freundin, ein bestimmtes Paar zu holen. Kurz danach große Freude bei der Kundin: „Endlich ein Paar Schuhe, das mir passt.“

1989 hat Elisabeth Müllen das Geschäft von ihren Eltern übernommen. Dabei war sie vorher nicht immer einer Meinung mit ihrer Mutter. Zum Beispiel, als sie für das Frühjahr viele schwarze Schuhe gekauft hatte zum Missfallen ihrer Mutter. Doch sie hatte das richtige Gespür gehabt, die dunkle Ware ging weg wie warme Semmeln. Denn bei allem Fachwissen in Sachen Schuhe, ein Gespür für Mode ist auch wichtig. Jedes Jahr ist Elisabeth Müllen zweimal nach Düsseldorf zur Schuhmesse gefahren, um zu sehen, was sich international in der Mode tut. Was in Mailand und Paris gerade der letzte Schrei ist, kommt früher oder später auch nach Speicher.

In all den Jahren hat die 67-Jährige schon ganze Generationen mit Schuhen eingekleidet. Und dabei so manches erlebt. Zum Beispiel, wie Kinder ihre Eltern vorführen, wenn sie sich ein bestimmtes Paar Schuhe in den Kopf gesetzt haben. Da drückt angeblich jeder andere Schuh, nur allein das Traummodell sitzt bequem. Eine Generation später kommt dann das kleine Mädchen mit dem Wunsch nach „Klackerschuhen“ und erlebt dasselbe mit den eigenen Kindern. Dabei appelliert sie an alle Eltern, bei den Schuhen für den Nachwuchs nicht zu sparen, denn ein falscher Schuh kann viel kaputt machen an Kinderfüßen.

Auch über die Beziehung zwischen Mann und Frau hat Elisabeth Müllen in all den Jahren viel gelernt. Heute seien die Frauen selbstbewusster, weil sie ihr eigenes Geld verdienen. Da dürfe es auch schon mal ein Paar Schuhe mehr sein. Eine Frau habe einmal gleich drei Paar gekauft, die sie sich in sechs Tüten und Kartons verpacken ließ, weil sie sich über ihren Mann geärgert hatte und ihm es jetzt auf diese Weise heimzahlen wollte. Und da gab es auch die Kundin, die mit acht Paar Schuhen das Geschäft verließ. Für Elisabeth Müllen völlig in Ordnung, denn Schuhe kann man, oder Frau, eigentlich nie genug haben.

Dass sie diese Leidenschaft jetzt aufgeben muss, tut ihr unendlich leid. „Ich glaube, ich falle erst einmal in ein Loch“, befürchtet sie. Aber bevor sie trübsinnig wird, geht sie wieder hinunter in den Verkaufsraum zu den Schuhen und den Kunden. Hier ist sie zuhause. Und hier möchte sie bis zum Schluss den Räumungsverkauf betreuen.

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