Brauchtum Karneval in der Krise

Biersdorf · Die Fastnacht auf dem Land ist in Gefahr, sagt Hans Mayer, Präsident der Rheinischen Karnevals-Korporationen (RKK) Deutschland. Er spricht über steigende Kosten für Vereine und mangelnde Hilfe aus der Politik.

 13.02.2018, Baden-Württemberg, Stuttgart: Nach dem Faschingsumzug werden die Straßen von Konfetti gereinigt. Am Stuttgarter Faschingsumzug haben nach Polizeiangaben etwa 140 000 Menschen teilgenommen. (zu dpa "Stuttgarter Faschingsumzug laut und bunt" vom 13.02.2018) Foto: Sina Schuldt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

13.02.2018, Baden-Württemberg, Stuttgart: Nach dem Faschingsumzug werden die Straßen von Konfetti gereinigt. Am Stuttgarter Faschingsumzug haben nach Polizeiangaben etwa 140 000 Menschen teilgenommen. (zu dpa "Stuttgarter Faschingsumzug laut und bunt" vom 13.02.2018) Foto: Sina Schuldt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Sina Schuldt

Nach der Session ist vor der Session. Und gerade in diesem Jahr sorgte die närrische Zeit für Gesprächsstoff in der Region. Während die Nattenheimer laute Musikanlagen aus ihrem Umzug verbannten, fiel er in Rittersdorf ganz aus. In Rivenich haben sich die Narren geprügelt; in Gönnersdorf gab es Ärger um einen mutmaßlich fremdenfeindlichen Spruch auf dem Fastnachtswagen. Steckt der ländliche Karneval also in der Krise?  Diesen Eindruck könnte man gewinnen, wenn man mit dem Biersdorfer Hans Mayer spricht. Der Präsident der Rheinischen Karnevals-Korporationen Deutschland, einem der beiden großen deutschen Dachverbände, sorgt sich ums Brauchtum. Er sieht die Traditionen durch Saufgelage und Rockpartys unter der falschen Flagge der Fastnacht gefährdet. Aber auch die Politik tue in einigen Bereichen zu wenig, lege den Karnevalisten oft Steine in den Weg.

Herr Mayer, ist der ländliche Karneval in Gefahr?

Mayer: In den Karnevalshochburgen wie Köln oder Mainz ist er es nicht. Dort ist das Brauchtum gesund. Aber die Vereine im ländlichen Raum haben vermehrt Probleme, eine Kappensitzung oder einen Umzug zu organisieren. Es fehlen Büttenredner, Tänzer, aber auch Vorstandsmitglieder. Genau diese Situation hatten wir in Rittersdorf. Sie ist kein Einzelfall.

Aber gibt es denn überhaupt noch kleine Vereine, bei denen das funktioniert?

 Hans Mayer

Hans Mayer

Foto: Helmut Thewalt,Trier/Helmut Thewalt, Trier

Mayer: Ja, bei Vereinen, die Brauchtum und Tradition noch pflegen. Ich bin zum Beispiel bei den Biersdorfer Seepferdchen aktiv. Dort gibt es noch handgemachten Karneval. Und genau den wollen wir als RKK erhalten – auch auf dem Land. Denn jedes Mal, wenn eine Fastnachtsgruppe aufgibt, geht auch ein Stück soziales und kulturelles Leben in der Gemeinde, ein Stück Tradition, verloren.

Was kann der Dachverband, dem ja 1400 Vereine angehören, für seine Mitglieder tun, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?

Mayer: Der Verband  RKK Deutschland hat eine sogenannte Patenschaft ins Leben gerufen. Wir vermitteln Vereinen hier einen starken Partner. Größere Karnevalsgruppen, etwa aus Trier, sollen die Patenschaft für kleinere übernehmen, ihnen bei der Organisation von Umzügen und Kappensitzungen helfen. Sie sollen den Vereinen damit wieder auf die Beine helfen, damit diese ihre Eigenständigkeit bewahren können.

Apropos Eigenständigkeit: Auch die Nattenheimer gehen eigene Wege. Sie haben kürzlich laute Musik-Anlagen und große Traktoren aus ihrem Umzug verbannt. Was halten Sie davon?

Mayer: Ich finde die Entscheidung richtig. Laute Party-Traktoren haben mit Karneval nichts zu tun. Wir brauchen wieder mehr Motiv-Wagen, die Ereignisse aus dem Dorf oder der Politik zum Thema machen. Aber dafür muss es Narren geben, die sich Gedanken machen. Die brauchen wir dringend, damit wir keine Zuschauer am Straßenrand verlieren.

Diese „lauten Partywagen“, von denen Sie sprechen, werden meist von Jugendlichen gebaut und gefahren. Braucht es im Karneval nicht auch diesen Nachwuchs?

Mayer: Ja, wir brauchen Nachwuchs, dem unser Brauchtum etwas wert ist. Wir brauchen keine Jugendlichen, die sich auf den Zügen nur sinnlos betrinken wollen. Auf die verzichten wir gerne.

Aber Alkohol gehört doch zur Fastnacht dazu ...

Mayer: Ja, der gehört dazu. Es liegt mir auch fern, jemandem das Bier oder den Schnaps im Festzelt oder der Gemeindehalle zu verbieten. Aber der Alkohol sollte nicht von den Umzugswagen ausgehen und diejenigen, die sie fahren, sollten nicht schon torkeln, bevor es losgeht.

Das will keiner sehen. Überhaupt haben sich die Vereine in den vergangenen Jahren zu sehr an die Jugend angebiedert.

Inwiefern?

Mayer: Sie haben sich vom Brauchtum abgewendet, veranstalten  eher Mallorca-Partys als Karnevalssitzungen. Da läuft nur noch Rockmusik. Klar, dahin geht der Trend. Mir und vielen Älteren fehlen aber auch die Klassiker – etwa von  Willi Ostermann, Jupp Schmitz oder den Räubern. Schließlich darf auch mal geschunkelt werden.

Da müssten Ihnen moderne Fastnachter wie die Bitburger Band „Kamelle Kapelle“ ein Dorn im Auge sein.

Mayer: Nein, überhaupt nicht. Ich bin froh, dass es solche Gruppen gibt. Alles hat seine Zeit. Aber diese Bands müssen dann doch nicht den ganzen Abend spielen. Was mich  eher begeistern würde, wäre eine Eifeler Mundart-Band. Die Kölner Szene ist voll von solchen Gruppen.

Warum machen unsere Musiker nicht so etwas? Der Dialekt gehört doch zur Tradition, ist ein Teil unseres Ichs.

Was tut denn die Politik, um das Brauchtum zu schützen?

Mayer: Zu wenig. Einige Politiker lassen sich von uns Karnevalisten Orden verleihen. Aber nicht von allen bekommen wir die nötige Unterstützung. Dabei ist die Fastnacht doch nicht nur das größte Volksfest der Deutschen, sondern ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Gastronomen, Getränkehändler, Süßwarenhersteller, Kostümverleihe – die profitieren alle von uns und letztlich auch der Staat. Und trotzdem werden uns Steine in den Weg gelegt – etwa die erhöhten Sicherheitsvorkehrungen.

Nach dem Unglück auf der Love Parade in Duisburg und dem Terroranschlag in Berlin hat sich sicherlich einiges geändert ...

Mayer: Und vieles wird von den Kommunen auf die Karnevalisten abgewälzt. Die Ehrenamtlichen sollen etwa Absperrungen für Fahrzeuge bezahlen.
Dabei haben Vereine dafür gar nicht das Geld. Wir werden uns in Kürze mit dem Städte- und Gemeindebund zusammensetzen, um eine einheitliche Regelung zu finden. Aber das ist ja nicht das einzige Problem.

Sie spielen auf die hohen Umsatzsteuer-Nachforderungen an. Was steckt dahinter?

Mayer: Wenn eine Karnevalsfeier nicht als solche zu erkennen ist, wird nicht der verminderte Umsatzsteuersatz von sieben  Prozent fällig, sondern volle 19 Prozent. Wer also eine Mallorca-Party veranstaltet, und sie als Fastnachts-Veranstaltung deklariert, muss Steuern nachzahlen – und das noch Jahre rückwirkend. Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass diese Rückforderungen rechtens sind. Jetzt stürzen die Nachzahlungen viele Vereine in finanzielle Schwierigkeiten.

Es ist aber auch ein weiterer Grund, vom Partykarneval Abstand zu nehmen.

Mayer: Davon rede ich seit Jahren. Als Dachverband können wir aber nur Empfehlungen aussprechen. Die Vereine müssen sich nicht daran halten. Es sei denn, es geht um verbandsschädliches Verhalten. Dann können wir ein Mitglied auch aus dem RKK werfen.

Würden Sie es als verbandsschädlich ansehen, wenn eine Fastnachtsgruppe einen fremdenfeindlichen Spruch auf ihrem Wagen spazieren fährt? Ein Verein aus Gönnersdorf in der Vulkaneifel hatte sich dieses Jahr das Motto „Zick, Zack, Zigeuner ...“ ausgesucht.

Mayer: Ich kenne den Fall, und ich kenne die Gönnersdorfer. Da war mit Sicherheit keine böse Absicht dahinter. Der Verein hat da irgendeinen alten Spruch aus der Mottenkiste ausgegraben, ohne sich Gedanken darüber zu machen.
Wenn ein Verein tatsächlich fremdenfeindliches Gedankengut unter die Leute bringen würde, würden wir ihn aber aus dem Verband RKK ausschließen. Das ist sicher.

Manch einer empfindet es auch als fremdenfeindlich, wenn sich ein Karnevalist als Afrikaner verkleidet und sich das Gesicht schwarz anmalt.

Mayer: Das ist wirklich weit hergeholt. Diskriminiere ich dann auch Indianer, wenn ich mich rot anmale, oder Chinesen, wenn ich mich gelb anmale? Wir haben nun mal Menschen unterschiedlicher Hautfarbe – sie darzustellen, muss gerade im Karneval erlaubt sein.
Wir wollen keine Zensur. Wir wollen nur, dass man einander achtet und sich Würde entgegenbringt.

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