Offenbarung im Missbrauchsprozess gegen 67-Jährigen Eifeler

Trier/Bitburg · Sie wollte eigentlich nicht über den Missbrauch reden, sagt die Tochter des Angeklagten. Vor dem Landgericht Trier hat das mutmaßliche Opfer nun doch ausgesagt.

Lange fand sie es offenbar normal, dass ihr Vater sie angefasst hat. Erst als in der Schule über Sexualkunde gesprochen wurde, habe sie gemerkt, dass da etwas nicht stimmte. Dass andere Männer sich nicht zu ihren Töchtern unter die Bettdecke legten, sie an diesen Stellen berührten. Und ab dann fand sie es unangenehm, hat sich weggedreht, sich gewehrt: "Was macht man gegen den eigenen Vater in dem Alter?"
Es ist das erste Mal, dass in der Gerichtsverhandlung die Stimme der 30-Jährigen zu hören ist. Doch die Worte kommen vom Band. Die Aussage der Tocher des Angeklagten wurde 2015 aufgezeichnet. Denn sie wollte nicht im Prozess aussagen gegen ihren Vater, der sie und ihre drei Brüder mehrfach sexuell belästigt haben soll (der TV berichtete).

Die Vorwürfe, die sie erhebt, belasten den 67-Jährigen dennoch schwer. Auch wenn das wohl gar nicht ihre Absicht war.

Das Video: "Er tut mir leid", sagt sie. Sie schluchzt, beginnt leise zu weinen. Die Frau mit den dunklen Haaren sitzt an einem Holztisch, die Staatsanwältin links von ihr, die Richterin rechts. Das Vernehmungszimmer, das über die Leinwand flimmert, wirkt wie eine Verlängerung des Gerichtssaals: der gleiche blaue Boden, die gleichen kahlen Wände. Die Frau kramt in ihrer Tasche. Offenbar sucht sie ein Taschentuch. Die Richterin reicht ihr eins. Bevor sie weiterredet, wischt sie sich die Tränen von der Wange, putzt sich die Nase: "Wenn das Pflegekind nicht gewesen wäre - dann wäre jetzt alles ok." Sie spricht von einem Mädchen aus der Ukraine, das ihr Vater und seine Lebensgefährtin aufnehmen wollten - in Ferienfreizeit, nur für ein paar Wochen. Ja, das habe sie verhindern wollen, das Kind schützen, "aber ich wollte ihm nicht den Lebensabend versauen". Immerhin habe sie mit der Vergangenheit längst abgeschlossen. Nur manchmal, wenn sie einen Film sehe, in dem Missbrauchsszenen vorkommen, dann "kocht es manchmal hoch." Dann muss sie wieder an "das kleine Geheimnis denken", sagt sie, das sie und ihr Vater teilten. Das Geheimnis, das sie so lange für sich behalten hatte.

Die Offenbarung: Der zweitälteste Sohn hat sein Schweigen offenbar schon früher gebrochen. Und anvertraut hat er sich der jungen Frau, die heute im Zeugenstand sitzt, damals vor rund 15 Jahren. So jedenfalls lautet ihre Aussage. Der Angeklagte lächelt sie an, während sie von seinem Sohn erzählt:
Sie ist die erste große Liebe des jungen Mannes. Beide sind noch Teenager. Eines Nachts will das Paar "das erste Mal intim werden". Der Zeitpunkt ist günstig, der Vater für ein paar Tage verreist. Und der hatte stets verboten, dass sich die beiden treffen. Heute nicht: Doch als sie im Bett liegen, läuft alles schief. Der 16-Jährige fängt an, zu weinen. Er sagt, dass er will, aber nicht kann. Und das liege an dem Missbrauch durch seinen Vater.
Ins Detail geht er nicht, sie fragt nicht weiter nach. Die Beziehung zerbricht ein Jahr später - aus anderen Gründen oder vielleicht aus einer anderen Seite desselben Grundes: Der Sohn trinkt immer mehr, "wird ein anderer Mensch." Als die Zeugin entlassen wird, lächelt der Angeklagte nicht mehr.
Danach werden Videoaufnahmen von den Vernehmungen der Brüder gezeigt. Hier gehen sie etwas mehr ins Detail, erzählen von den Übergriffen.

Das Gutachten: Was ist das für ein Vater, der dort auf der Anklagebank sitzt? Kann ein Mensch, der die Taten, die ihm vorgeworfen werden, tatsächlich verübt hat, bei klarem Verstand sein?
Diese Frage zu beantworten, ist die Aufgabe von Mediziner und Psychiater Wolfgang Retz von der Universitätsklinik Mainz. Er hat sich mit dem 67-Jährigen vor der Verhandlung unterhalten und ihn während des Prozesses beobachtet. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Eifeler voll schuldfähig ist, "ein normaler Mann".
Als unzurechnungsfähig gilt nämlich nur, wer eine krankhafte seelische Störung aufweist. Ein Beispiel dafür wären Wahnvorstellungen, die einen Menschen zu einer Tat treiben.
Heute ab 9 Uhr halten der Staatsanwalt und der Verteidiger des Angeklagten ihre Plädoyers. Danach soll das Urteil fallen.

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