Oma Eifel ist die "Vollzugsoma"

WITTLICH/BERGWEILER. (red) Sie ist eine gläubige Frau und hilft aus innerster Überzeugung. Judith Krämer betreut seit 20 Jahren Strafgefangene.

Vertreibung aus der Heimat Oberschlesien mit 18 Jahren, der frühe Tod eines ihrer sechs Kinder an Leukämie: Dunkle Tage für Judith Krämer. Doch die heute 77-Jährige sagt: "Ich bin mit einem festen Glauben auf die Welt gekommen. Er trägt mein Leben und gibt mir Kraft." Und Kraft hat sie noch übrig: Vor 20 Jahren besuchte sie zum ersten Mal Strafgefangene in Wittlich, damals noch gemeinsam mit ihrem Mann Johannes: "Wir waren ein unzertrennliches Paar - bis dass der Tod uns scheidet."Mit den zehn Geboten wird man nicht straffällig

Als ihr Mann vor sechs Jahren starb, wollte sie aufhören mit den wöchentlichen Besuchen in der Vollzugsanstalt. Doch der Sozialdienst katholischer Frauen und Männer (SKFM), der den ehrenamtlichen Einsatz für Gefangene unter Pfarrer Kunz mit Robert Gubernator 1979 ins Leben rief, und dem sie im Vorstand angehört, rief Judith Krämer zurück: "Und wenn man mich noch braucht, mache ich weiter." Mit dem Bus fährt sie einmal die Woche nach Wittlich und trifft sich mit ihrer acht bis zehnköpfigen Gruppe im geschlossenen Strafvollzug. Sie sagt: "Ich bin keine Richterin und der liebe Gott schon gar nicht. Deshalb frage ich nie, warum jemand da sitzt. Mein Gesprächskreis heißt: Probleme des Alltags." Und ihr Gottvertrauen hilft ihr, zu helfen und zwar über Glaubensgrenzen hinweg: "Ich habe Juden, Muslime, Atheisten kennen gelernt und schaue nicht auf deren Religion, aber ich lasse mir von meiner auch nichts abnehmen. Außerdem haben wir ja alle einen Gottvater." Das scheint zu überzeugen. Erst im Dezember wurde ein 24-Jähriger aus der ehemaligen DDR im Gefängnis getauft, der "von Gott und der Welt nie etwas gehört hatte", freut sich Judith Krämer, die über ihren eigenen Weg zum Glauben sagt: "Ich habe von Kindheit an ein sehr gutes religiöses Fundament von Jesuiten-Patres erhalten und bin eine große Marienverehrerin." Ihren Kindern hat sie mit auf den Weg gegeben: "Haltet euch an Gott, das andere wird der Herrgott schon geben." Ihren Gesprächspartnern im Gefängnis rät sie: "Wer sich an die zehn Gebote und das Hauptgebot der Liebe hält, der wird nicht straffällig." Selbst gegenüber Menschen, die wegen schwerer Verbrechen hinter Gittern sind, verliert sie nicht die Haltung, auch wenn sie klar Position bezieht: "Gewalt ist das Abscheulichste, was man tun kann. Das Schlimmste ist Gewalt an und Vergewaltigung von Kindern. Denn die Seele leidet so, dass sie jeden Tag stirbt. Aber für mich ist wesentlich, dass Gott auch die schlimmsten Sünden verzeiht und jeder ist ein Geschöpf Gottes. Deshalb kann ich auch mit solchen Menschen sprechen." Ja, sie sei schon mal gefragt worden, ob sie keine Angst unter "rabiaten Männern" habe. "Ich bin zwar mit 1,48 Metern eine optisch kleine Frau, aber ich habe keine Angst." Wird sie um Rat gefragt, hilft ihr die Bibel. Sie scheint das Buch der Bücher fast auswendig zu können und erklärt zu ihrem Zitatenschatz: "Ich habe es nicht gerne, wenn ich keine Antwort geben kann." Ihre Arbeit als ehrenamtliche Vollzugshelferin dient vor allem der Resozialisierung. Besonders die Kinder der Insassen liegen Judith Krämer am Herzen: "Ich sage den Männern immer, sie bleiben Vater bis in alle Ewigkeit und müssen sich entsprechend verhalten. Mein Rat ist etwa: ‚Schreiben Sie an Ihre Kinder, malen Sie ein Bild‘, denn dann spürt das Kind, dass der Papa es liebt, und das ist wichtig." Nach der Entlassung halten manche Gefangene Kontakt, aber ihre Beraterin hat strenge Grundsätze: "Seit mein Mann tot ist, schreibe ich nicht mehr und gebe wohl telefonisch Ratschläge. Aber ich empfange keinen Herrenbesuch." Doch zum Kaffee ließ sie sich ausnahmsweise letzte Woche einladen: Zum 20-jährigen Jubiläum hat ihre Gruppe als Überraschung eine Kaffeetafel gedeckt und ihr ein Bild des Heiligen Augustinus gemalt und dazu auch den Rahmen geschreinert. "Ich dachte, was ist hier eigentlich los? Dann sagten der Gefängnispfarrer und der Kontaktbeamte zur Gruppe: Jetzt lassen wir sie mit ihrem stillen Star allein", freut sich Judith Krämer. Den Titel "Stiller Star" hat sie kürzlich in einer Auszeichnung durch die Landrätin erhalten: "Da war ich sprachlos und überwältigt, denn ich habe gar nicht damit gerechnet." Hinter Gittern trägt sie übrigens auch den Titel "Vollzugsoma". Eine Ehre für Judith Krämer: "Viele sind in Heimen groß geworden, da war ihnen der liebste Mensch die Oma." Für ihre acht Enkel allerdings, die sie selbst ihr "wunderbares Lebensglück" nennt, bleibt sie die "Oma Eifel".

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