Panoramablick am Karabinerhaken

NIEDERSTEDEM. Mit einem eigens dafür entwickelten Computerprogramm prüfen die Rheinisch-Westfälischen-Elektrizitätswerke (RWE) im Fünf-Jahres-Rhythmus sämtliche ihrer Strommasten auf Verschleiß und Beschädigungen. Derzeit sind die Freileitungsmonteure zwischen Niederstedem und Vianden im Einsatz, prüfen die Gittertürme auf Herz und Nieren und spüren am Ende eines Arbeitstags jeden ihrer Muskeln.

"Bündelhalter, Flachprofil oder Öse-Pfanne?", fragt Marco Mees, sitzt dabei auf dem Fahrersitz des silberfarbenen Sprinters, blickt auf seinen Laptop und wartet. "Flachprofil!", antwortet eine Stimme, die aus seinem Kopfhörer kommt. Mees tippt etwas in seinen Computer ein und fragt erneut: "Haben wir Beschädigungen drauf?" "Keine Beschädigungen!", versichert ihm der Mann im Ohr und antwortet wenig später: "Keine vorhanden!", als er nach Schwingungsdämpfern gefragt wird. Arbeitsplatz Hochspannungsmast

Plötzlich erscheint ein gelbes Rechteck auf dem Laptop-Bildschirm in dem ein roter Totenkopf blinkt. Daneben steht: "VORSICHT! Inspektion lebensgefährlich, wenn Stromkreis unter Spannung!" - Doch Mark Kollmann, der Mann, der zu der Stimme im Ohr gehört, ist vorsichtig. Muss er auch sein. Denn zu diesem Zeitpunkt ist er dort, wo man ihn tagsüber fast immer antrifft: in der Spitze eines Hochspannungsmastes, umgeben von 380 000 Volt. In 40 Metern Höhe klettert er über eine der Traversen und überprüft die genau definierten Kontrollpunkte. Rund 300 Stück gibt es davon auf jedem Mast. Und Kollmann weiß, wo er danach suchen muss. Vor fünf Jahren ist der Freileitungsmonteur von RWE Rhein-Ruhr das erste Mal auf einen Mast geklettert. Überwindung habe ihn das eigentlich keine gekostet, sagt der 28-Jährige aus Trier, sichert den Karabinerhaken in der Öse seines Hosenträgergurts und genießt die Aussicht bei strahlendem Sonnenschein. Schon allein dafür lohnt sich der mühsame Weg nach oben. Vier bis fünf Hochspannungsmasten schaffen Kollmann und sein Kollege an einem Tag. Und wenn dieser Tag vorbei ist, weiß Kollmann, was er geleistet hat. So wie der Rest der 75 RWE-Freileitungsmonteure, die im Fünf-Jahres-Rhythmus jeden der insgesamt 28 000 Hochspannungsmasten im Zuständigkeitsbereich des Energieversorgers überprüfen. Und das nicht erst, seit vergangenen Winter im Münsterland zahlreiche dieser Stahlriesen unter der Schneelast zusammengebrochen sind, wie Michael Wahl, Chef der Leitungskontrolle bei RWE Rhein-Ruhr, erklärt. "Wir hatten damals den Tüv bei uns monatelang im Haus", sagt er, "und das war nicht immer schön." Schließlich seien die Inspektoren des Technischen Überwachungsvereins dann doch zur Erkenntnis gekommen, dass die RWE sich in puncto Wartung (siehe Extra) seiner Stromleitung nichts vorzuwerfen habe. Gleiches gelte auch für den tragischen Zwischenfall, der sich erst vor zwei Wochen wenige Hundert Meter entfernt bei Dockendorf ereignet hat. Bei der Wartung ist ein Monteur eines Subunternehmens während der Arbeit an einer 220 000-Volt-Leitung mit seinem Arbeitskorb an eine darunter quer verlaufende Leitung geraten und durch einen Stromschlag getötet worden (der TV berichtete). Vereinbart sei damals gewesen, dass die Wartungsarbeiten erst später beginnen, erklärt Wahl, so dass der Strom auf der Querleitung aus Sicherheitsgründen dann auch abgeschaltet gewesen wäre. Dass Kollmann bei seiner Inspektion von Hochspannunsgmasten auf die Möglichkeit der Stromabschaltung in der Regel verzichten muss, stört ihn weniger. "Die Sicherheit steht bei unserer Arbeit an erster Stelle", sagt er. Näher als fünf Meter darf er an die 380 000 Volt nicht ran. Darauf achtet der Freileitungsmonteur. Dass er sich seinem unten sitzenden Arbeitskollegen nicht schneller als beabsichtigt nähert, dafür sorgt der Karabiner.

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