Brauchtum Nicht aufgerafft

Schönecken · Die Schönecker Eierlage endet am Ostermontag zum ersten Mal ohne Gewinner. Denn Raffer und Läufer sind unterwegs kollabiert.

 Keine Spur von Überlastung: Zu Anfang des Wettkampfes legt Alexander Alf ein ganz schönes Tempo vor. Er wird es nicht halten können und später kollabieren.

Keine Spur von Überlastung: Zu Anfang des Wettkampfes legt Alexander Alf ein ganz schönes Tempo vor. Er wird es nicht halten können und später kollabieren.

Foto: TV/Christian Altmayer

Blaulicht flackert über die Straße. Die Zuschauer machen dem Krankenwagen Platz. Das Rettungsauto hält vor dem Gasthaus Arenth. Ein Sanitäter rennt die Treppen zur Kneipe hinauf. Wenige Minuten später kommt er mit Raffer Alexander Alf wieder raus. Läufer Holger Meyer liegt bereits auf einer Liege im Krankenwagen. Die zwei Männer waren während der Eierlage am Ostermontag kollabiert. Es ist nicht das erste Mal, das einer der Kontrahenten beim Lauf schlappmacht. Aber dass beide zusammenbrechen, ist in der langen Geschichte des Wettstreits noch nie passiert. Dabei deutete beim Startschuss noch nichts auf diesen Ausgang hin.

14.10 Uhr: Das Knallen des Kanonenböllers hallt durch die Luft. Für Raffer Alf und Läufer Meyer ist es das Zeichen, dass es los geht. Beide legen ein erstaunliches Tempo vor. Während Meyer um die Ecke hastet, ist Alf beim ersten Ei. Und genauso flott geht es weiter. Der Läufer legt Meter um Meter zurück, der Raffer Ei um Ei in den Korb. Die weißen Gewänder, historische Pagenkostüme, flattern im Wind.

 Der Rettungswagen fährt hoch zum Gasthaus Arenth. Die Sanitäter wollen Alexander Alf abholen. Holger Meyer liegt schon auf einer Liege im Wagen.

Der Rettungswagen fährt hoch zum Gasthaus Arenth. Die Sanitäter wollen Alexander Alf abholen. Holger Meyer liegt schon auf einer Liege im Wagen.

Foto: TV/Christian Altmayer

Für denjenigen, der die Eierlage zum ersten Mal sieht, mag der Wettstreit befremdlich wirken. Der Kampf von Raffer und Läufer geht aber auf einen jahrhundertealten Brauch zurück (Siehe Info). Bis heute führt die Junggesellensodalität Schönecken die Tradition fort – mit nahezu unveränderten Spielregeln. Die sind schnell erklärt: Während der Läufer von Schönecken bis Seiwerath und wieder zurück rennt, muss der Raffer 104 auf Sägemehl aufgestellte Eier aufheben und in einen Korb legen. Wer seine Aufgabe zuerst gemeistert hat, gewinnt. Doch dazu sollte es heute nicht kommen.

14.30 Uhr: Alf ist jetzt bei Ei Nummer 46. Es fehlen noch mehr als die Hälfte und die Wege zum nächsten Ei und zurück zum Korb werden immer länger. Auf der Stirn des 30-jährigen Junggesellen perlt Schweiß, die Wangen haben sich rot verfärbt. Doch er wird nicht langsamer.

Sein Kontrahent ist ihm, obwohl er noch kilometerweit entfernt ist, dicht auf den Fersen. Gerade hat Meyer Schönecken verlassen. Der 37-Jährige könnte am Ostermontag für Gleichstand sorgen im jahrelangen Streit. Aktuell steht es 34 zu 33 für die Raffer. Es ist Meyers letzte Chance, das zu ändern. Denn bald wird er Vater. Und das heißt, er muss ausscheiden bei den Junggesellen. Denn wer heiratet oder ein Kind bekommt, ist raus aus dem Verein.

Auch Alf fehlt es nicht an Motivation. Neben der Sägemehlstrecke stehen Hunderte und feuern ihn an. „Los!“, „Zieh!“, „Alfi, Alfi, Alfi!“, rufen sie, patschen ihm aufmunternd auf den Rücken. Einige filmen den Wettkampf, machen Fotos. Wer kein Handy in der Hand hält, klatscht. Sie feuern ihn an, als er nach Ei Nummer 60 immer langsamer wird. Sie klatschen weiter, als Alfs Gesicht die Röte verliert, allmählich bleich wird. 

14.45 Uhr: Moderator Kurt Hermes ruft ins Mikro: „Alexander hat jetzt sein 91. Ei in den Korb gelegt.“ Das Publikum jubelt. Es geht in den Endspurt. Der Musikverein  spielt „The Final Countdown“ von Europe. Meyer trennen nur noch ein paar Hundert Meter vom Sieg und Alf acht Eier. Doch der Raffer torkelt. Der 30-Jährige kann die Augen kaum aufhalten. Die Lider flattern. „Der ist total hinüber“, sagt ein Zuschauer. Ein Junggeselle hält dem jungen Mann einen Becher mit Wasser hin. Der winkt ab, läuft ein paar Schritte und entscheidet sich dann doch, zu gehen statt zu laufen. Taumelnd, von einem Bein auf das andere, schafft er es zurück zum Korb.

Dann sackt er nach vorne. Die Junggesellen fangen ihn auf, patschen ihm ins Gesicht. Einer setzt einen Becher mit Cola an seine Lippen. Er trinkt einen Schluck. Dann sinkt Alf rücklinks auf den Boden. Ein Sanitäter eilt zu ihm. 

Eine Traube von Zuschauern bildet sich um den Zusammengebrochenen. Manche filmen den Kollaps des Mannes, schießen Fotos – bis Moderator Hermes einschreitet: „Das hier ist wie bei einem Verkehrsunfall. Man macht keine Bilder!“ Wenige Minuten später ist Alf bei Bewusstsein. Die Augen der Zuschauer bleiben auf ihn gerichtet. Nach dem Läufer schaut keiner, scheint sein Sieg doch sicher. Bis plötzlich ein Mann zum Gasthaus Arenth rennt.

15 Uhr:  „Wir brauchen noch einen bei Holger“, sagt er und meint einen Sanitäter. Also packt der Helfer die rote Tasche und läuft die Straße runter. Wenige hundert Meter weiter, kurz vor dem Ziel, liegt die zweite weißgewandete Gestalt bewusstlos auf dem Asphalt. Ein Mann hält die Beine des 37-Jährigen in die Luft, massiert die Waden. Eine Infusion steckt in seinem Arm. Sie haben den Krankenwagen gerufen. Als der etwa eine Viertelstunde später um die Ecke biegt, ist Meyer wieder ansprechbar. Trotzdem nehmen die Sanitäter ihn und Alf zur Kontrolle mit ins Prümer Krankenhaus. Gefährlich werden könne es für die Männer nicht. Es habe am Stress gelegen, an der Überanstrengung.

15.15 Uhr: Während der Krankenwagen vor dem Gasthaus steht, stimmt der Musikverein ein letztes Lied an. Blicke wandern zu den Vereinskameraden, als würden sie sich fragen: „Sollen wir wirklich noch?“ Sie sollen. Tradition ist Tradition. Und so blasen sie ins Blech und ziehen mit dem Gefolge der Junggesellen durch den Ort.

Der Vorstand und die Ehemaligen bleiben als Letzte vor dem Gasthaus zurück. Sie beraten, wie es dazu kommen konnte und was jetzt zu tun ist. Sind nun beide Verlierer oder beide Sieger, bekommen sie jetzt beide Feuerzeuge oder Uhren? Es herrscht Ratlosigkeit. Nur eines scheint klar: „In Zukunft müssen wir mehr über die Fitness der Kontrahenten nachdenken“, sagt der ehemalige Schönecker Hauptmann Wolfgang Ulrich: Raffer und Läufer müssen sich besser auf den Wettkampf vorbereiten. Dass es in diesem Jahr so ausgehen musste, bereite ihm Schmerz.

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