Politik „Sagen Sie nie: ,Das kann ich nicht!’“

Bitburg · Rita Süssmuth spricht bei der Ausstellungseröffnung zu 100 Jahre Frauenwahlrecht im Haus Beda. Dabei schildert sie auch eigene Erfahrungen und macht den Zuhörern Mut.

Judith Kriebel und Alexander Ourth skizzieren in einer szenischen Lesung den Lebensweg von vier Frauen in den vergangenen 100 Jahren.

Judith Kriebel und Alexander Ourth skizzieren in einer szenischen Lesung den Lebensweg von vier Frauen in den vergangenen 100 Jahren.

Foto: TV/Nora John

Im Mai sind Kommunalwahlen. Wahlberechtigt sind selbstverständlich Frauen und Männer. Unvorstellbar, dass das in Deutschland einmal anders war. Doch gibt es das aktive und passive Wahlrecht für Frauen erst seit 100 Jahren. Um diese wichtige Änderung in den deutschen Gesetzen und um viele andere, oft kleine Schritte zur Gleichberechtigung der Frauen ging es im Haus Beda bei der Eröffnung der Ausstellung „100 Jahre Frauenwahlrecht“.

Eine, die immer für Frauenrechte gekämpft hat und als erste Frauenministerin in ein Bundeskabinett einzog, ist Professor Dr. Rita Süssmuth. Und sie ist immer noch streitbar, wie sie bei ihrem Impulsvortrag  zeigte. Süssmuth lobte die Ausstellung mit den eindrucksvollen Bildern und kurzen, klaren Sätzen. „Die Ausstellung gehört nach Berlin“, sagte sie. Gleichzeitig erteilte sie auch einen kleinen Seitenhieb. Sie wünsche sich für Bitburg eine Bürgermeisterin und für den Kreis eine Landrätin.

Die ehemalige Ministerin und Bundestagspräsidentin erinnerte an die Zeit vor 100 Jahren, als mutige Frauen für das Wahlrecht kämpfen mussten. Sie rief zum Zusammenhalt auf, denn nur so könne man etwas erreichen. Gleichzeitig kritisierte sie, dass Frauen in der Gesellschaft immer dann gefragt seien, wenn man sonst nicht weiterkomme. Wenn es zum Beispiel schwierig werde, genug Kandidaten für die Listenaufstellung bei einer Wahl zu finden, dann dürften es die Frauen machen. „Viele Frauen sind auf diese Weise verheizt worden.“ Es sei schon erstaunlich, dass ihnen oft wenig zugetraut werde. „Warum habt ihr den Mut, den Frauen die Kinder zu überlassen, bei allem, was sie nicht können“, fragte Süssmuth provokant das Publikum, in dem sich allerdings recht wenig Männer befanden.

Große Bewunderung zollte Rita Süssmuth Marie Juchacz, der ersten Frau, die in der Nationalversammlung eine Rede hielt. Bei den  Wahlen 1919 lag die Beteiligung der Frauen bei  82 Prozent, 37 Frauen zogen in das Gremium der 423 Abgeordneten ein. Eine davon war die SPD-Abgeordnete Marie Juchacz. „Sie hat den Männern den Marsch geblasen“, lobte Süssmuth. Und das in einer Zeit, in der viele Männer der Ansicht waren, dass Frauen nach Hause gehörten. Die CDU-Politikerin sagte, dass es aber auch heute noch Abgeordnete gebe, die so denken.

Sie rief die Frauen dazu auf, nicht an sich selbst zu zweifeln. Man solle niemals sagen: „Das kann ich nicht“. Sie selbst habe immer nach dem Motto agiert: „Das wollen wir doch mal sehen“. Die ehemalige Bundesministerin erzählte auch von ihren eigenen Erfahrungen in der Politik. Als sie den Ministerposten übernommen habe, habe es geheißen: „In einem halben Jahr ist die wieder weg“. Das habe ihren Widerstand geschürt. Sie habe auch verloren, aber gekuscht habe sie nie.

Nicht nur das Frauenwahlrecht, sondern auch die Stellung der Frau in der Gesellschaft und der langsame Fortschritt bei der Gleichberechtigung waren Themen einer szenischen Lesung von Judith Kriebel und Alexander Ourth vom Theater Trier. Sie skizzierten die Lebenswege von vier Frauen in vier Generationen einer Familie.

Angefangen mit Martha im Jahr 1918, die begeistert vom Frauenwahlrecht und politisch interessiert ist. Ihre Tochter Hilde verliebt sich dagegen in einen Nazi und erlebt, dass es wieder einen Rückschritt bei den Frauenrechten gibt. So muss Hilde beispielsweise ihren Beruf aufgeben, um heiraten zu können. Sie bekommt mehrere Kinder und schlägt sich schließlich als Kriegswitwe alleine durch.

Ihre Tochter Angelika versucht dagegen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das gelingt ihr auch durch gute Schulbildung und Studium,  endet aber dann, als sie wegen einer Abtreibung  ein demütigendes Verhör über sich ergehen lassen muss. Die szenische Lesung endet mit Julia, einer Tochter von Angelika. Mit der Gleichberechtigung ist es weiter vorangegangen. Sie sitzt auf einem Spielplatz neben einem Mann, der für zehn Monate in Elternzeit ist. Doch dort erhält sie einen Anruf vom Chef, dass sie ihren alten Posten im Beruf nicht weitermachen soll, „weil sie das mit Kind doch gar nicht schafft“. Bei dieser  Lesung, die das Publikum mit Spannung verfolgt, wird deutlich, dass sich viel getan hat, aber noch lange nicht genug.

Als einziger Mann sprach Landrat Joachim Streit zu Beginn der Veranstaltung. Er sagte, dass 1919 auch zwei Frauen in den Bitburger Stadtrat einzogen. „Die beiden Damen werden es nicht leicht gehabt haben“, meinte er. Er ermunterte die Frauen, sich für politische Ämter zu bewerben.

Rita Süssmuth trägt sich ins goldene Buch der Stadt Bitburg ein. Mit im Bild Beate Tömmes (Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Bitburg), Landrat Joachim Streit, Wolfgang Vierbuchen (KEB Westeifel), Marita Singh (Gleichstellungsbeauftragte des Eifelkreises Bitburg-Prüm) und Bitburgs Bürgermeister Joachim Kandels. 

Rita Süssmuth trägt sich ins goldene Buch der Stadt Bitburg ein. Mit im Bild Beate Tömmes (Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Bitburg), Landrat Joachim Streit, Wolfgang Vierbuchen (KEB Westeifel), Marita Singh (Gleichstellungsbeauftragte des Eifelkreises Bitburg-Prüm) und Bitburgs Bürgermeister Joachim Kandels. 

Foto: TV/Nora John

Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung vom Chor Cantando Messerich, der sowohl Kleidung als auch die Lieder dem Thema angepasst hatte.

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