…sollst du dein Brot essen

"Wir pflügen und wir streuen." Das wohl populärste Lied zum Erntedank stammt von Matthias Claudius. Aber wer kennt es noch? Werden Sinn und Bedeutung des Erntedankes noch wahrgenommen? Bedarf es in einer Zeit scheinbaren Überflusses noch der Pflege dieses Jahrhunderte alten Brauchtums?

Niederehe/Stahlbach. "Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen." Nach Gottes Zorn und der Vertreibung aus dem Paradies mussten sich Adam und seine Nachkommen um ihr tägliches Brot selbst bemühen. So lernten sie, seinen Wert zu schätzen. Sie begannen, Gott darum zu bitten und ihm dafür zu danken.Erste überlieferte Formen von Erntedank gehen bis weit in die vorchristliche Zeit zurück. In nahezu allen Kulturen wurden Dankfeste gefeiert. Im Judentum waren vor allem das Fest der ungesäuerten Brote und das Laubhüttenfest Dankesbezeugungen für eine gute Ernte.In der katholischen Kirche gibt es den Begriff Erntedankfest seit dem dritten Jahrhundert. "Er ist jedoch nicht Bestandteil des Kirchenjahres", sagt Dechant Bruno Comes aus Niederehe. "Der liturgische römische Kalender kennt kein Erntedankfest." Natürlich werde es mit dem Segen der katholischen Kirche gefeiert, aber die Wahl der Termine sei freigestellt.TV-Frage an Dechant Comes: Fehlt es angesichts übervoller Supermärkte und pausenloser Lebensmittelwerbung an der Wertschätzung des "täglichen Brotes"? Ist der Bezug zum Erntedank verloren gegangen?"Bruno Comes: "Zweifellos hat das Erntedankfest viel von seiner Bedeutung verloren. Denn wer im Wohlstand lebt, macht sich weniger Sorgen." Derweil lässt die starke Rückfrage der Menschen nach Gestaltung und Ablauf der Gottesdienste — "Wie wäre dies, wie wäre das?" — ein relativ großes Interesse am Thema Erntedank erkennen. Es kommen jedenfalls wesentlich mehr Gläubige als zu normalen Gottesdiensten. Der Brauch, die Kirchen mit schönen Erntedankmotiven und Altären zu schmücken, ist nach wie vor weit verbreitet. Freilich gibt es da einen Unterschied zwischen Stadt und Land. Die Wertschätzung der Lebensmittel könnte positiver sein. Bei Erwachsenen ist das eine Frage des Nachdenkens, bei Kindern eine Frage der Vorbildhaltung und Erziehung.Die Leute haben weniger Geld. Von neuer Armut und Kinderarmut ist die Rede. Muss es den Menschen immer erst schlecht gehen, ehe sie sich auf andere Werte besinnen? Bruno Comes: "Das ist durchaus verständlich, obgleich man auch in guten Zeiten bewusster leben sollte. Vorbei zu sein scheinen indes die Zeiten, wo es schlichtweg hieß: ,Wir haben in Deutschland keine Armut.' Viele soziale Initiativen tun sich auf. Beispielhaft ist die der ,Tafeln'. Da fragt erst niemand, ob dies überhaupt nötig ist. Stattdessen wird gehandelt. Vom Erntedank zur sozialen Verantwortung ist es nicht weit."Unmittelbar mit dem Ernten und Erntedank zu tun hat Erwin Meyer, Landwirt in Stalbach. Gemeinsam mit Ehefrau Maria betreibt er vorwiegend Milchviehhaltung und Ackerbau. Alles auf ihrem stattlichen Hof entspricht modernen Erfordernissen, aber ihr natürlich-ländliches Gepräge hat sich die "Meyerfarm" bewahrt. "Wie halten Sie es mit dem Erntedank?", lautet die TV-Frage. Erwin Meyer: "In der Landwirtschaft bestimmen längst die Maschinen das Tempo. Ohne sie wäre die Arbeit kaum noch zu bewältigen. Für Ernteromantik und Folklore bleibt da nur wenig Raum. Zudem scheint es, als tendiere der Zeitgeist ohnehin in eine andere Richtung. Doch als Landwirte, die ihren Beruf lieben und eng mit der Natur verbunden sind, haben wir den Bezug zum Erntedank keineswegs verloren. Gerne würden wir das auch feiern. Wäre da nicht die EU." Unisono klagen Erwin und Maria Meyer: "Mit all dem, was ständig von Brüssel kommt, werden uns Feststimmung und Feierlaune gründlich verdorben."

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