"Tiere lesen keine Akten"

FERSCHWEILER. Bauernhof als Therapie: Auf dem Laeisenhof leben sechs Jungen, die in anderen Heimen keine Chance mehr hatten.

Die Teerstraße hinter Ferschweiler hört plötzlich auf. Ein Feldweg führt weiter. Der Blick aus dem Auto schweift über die schöne Landschaft. Dann kommt der Laeisenhof ins Blickfeld - ein alter, aber imposanter Gutshof. Die Hühner picken im Sandkasten, die Islandponys grasen auf der Koppel, in der Ferne sieht man eine Ziegenherde grasen - Idylle pur. Der Laeisenhof ist das Zuhause von sechs Jungen und Heimleiter Hans-Joachim Schröder. Die Gesellschaft für Sozialprojekte und Jugendhilfe (Geso) hat im Dezember 2002 die Jungengruppe in Ferschweiler eröffnet (siehe Hintergrund). "Die Jungs haben zum Teil eine Akte, die ist ein halbes Kilo schwer. Wir erleben sie jedoch oft anders, als auf dem Papier steht", sagt Nikolaj Stöckle-Jacob, pädagogischer Leiter der Geso. Die Kinder, die im Laeisenhof notlanden, haben oft schwer gelitten. Sie stammen aus kaputten Familien, waren teilweise in psychiatrischer Behandlung, sind aus allen Schulen rausgeflogen. Auf dem Laeisenhof erleben sie einen geregelten Tagesablauf. Durch die Arbeiten auf dem Bauernhof lernen die Jungen, Verantwortung zu übernehmen. Wobei Heimleiter Schröder Wert darauf legt, dass die Jugendlichen nicht als billige Arbeitskräfte missbraucht werden. So wie in SOS-Kinderdörfern ist Schröder ständig auf dem Hof präsent, quasi als Vater für alle. Er achtet darauf, dass Regeln eingehalten werden. "Ich mag keine laute Musik und schon gar nicht sechs verschiedene Richtungen gleichzeitig", sagt er. Wenn die Burschen die Musik nicht leiser stellen, dreht Schröder die Sicherung raus.Laeisenhof als letzte Chance

Der 46-Jährige liebt die handwerkliche Arbeit auf dem Bauernhof. "Ich bin meist mit dabei, es macht mir einfach Spaß", sagt er. Und das scheinen die Jungen zu spüren. "Die Jungs sind doch bis obenhin zu mit Therapie-Gesprächen," sagt Stöckle-Jakob. Die Arbeit auf dem Bauernhof wirke auf sie befreiend: "Tiere lesen keine Akten und achten nicht auf die Kleiderzusammenstellung", sagt er. "Die Jungen sind freiwillig hier. Es gab auch welche, da passte das nicht, aber die Jungen wissen, nach dem Laeisenhof, da kommt nicht mehr viel", sagt Schröder. Der Hausherr führt ein strenges Regiment, von Bestrafen hält er allerdings nicht viel. Stattdessen setzen die Pädagogen auf sinnvolle Konsequenzen. Als einer der Jungs sich nach Irrel abgesetzt hatte, musste er mit dem Betreuer zu Fuß nach Hause gehen. Wer eine Tür eintritt, muss sie reparieren. Wer im Schwimmbad Stress macht, bleibt beim nächsten Mal zu Hause. "Die Jungen müssen lernen, Konflikte richtig zu lösen", erklärt Stöckle-Jakob. Auffallend ordentlich sind die Zimmer. Geraucht wird im Haus nicht. Für die Raucher steht im Garten ein alter Bauwagen. Mittlerweile gibt es kaum noch welche. Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, dass viele der Jungen als Kettenraucher ankommen. Das Bauernhofkonzept scheint aufzugehen: "Wir erleben hier viele Effekte, mit denen wir nicht gerechnet haben", sagt Schröder. Die Kinder entwickelten eine Affinität zu den Tieren, sie seien stolz auf ihre Leistungen, "ihren" Hof und dessen Produkte. "Das stärkt ihr Selbstbewusstsein ungemein", beobachtet er. Dabei ist der Laeisenhof alles andere als ein Streichelzoo. "Ein bisschen locker geht hier nicht", stellt Schröder klar. "Wer hier klaut oder gewalttätig wird, wird angezeigt." Und das funktioniert gut. Einer der Jungen habe mal gesagt: "Endlich sagt mir mal einer, was ich darf und was ich nicht darf." Vorurteile der Einwohner wurden schnell abgebaut. Geso-Geschäftsführer Hans Herznach hat das Projekt den Gemeinderatsmitglieder vorgestellt und zum "Ortstermin" eingeladen. Viele Einwohner Ferschweilers kaufen Eier und Käse auf dem Hof. Bisher erfüllt das Bauernhofkonzept mehr als alle Erwartungen, die die Geso gehegt hat. Jetzt hofft Herznach noch, den Jungen eine Zukunft nach dem Laeisenhof bieten zu können. Eine Erfolgsmeldung gibt es schon: Ein Junge kann bald bei einem Schäfer anfangen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort