Und dann fand er seine Mutter

Badem · Als Baby wurde Daniel Schneider aus Badem adoptiert. 29 Jahre später – in diesem Herbst - fand er über soziale Netzwerke im Internet seine leibliche Mutter wieder. Anfang November traf er sie zum ersten Mal. In ihrer neuen Heimat in Amerika.

Habe ich Geschwister oder bin ich ein Einzelkind? Ähnele ich meiner Mutter oder eher meinem Vater? Welche Eigenheiten und Charakterzüge habe ich von meinen Eltern geerbt? Fragen über Fragen, die Daniel Schneider aus Badem (Eifelkreis Bitburg-Prüm) bis vor kurzem nicht beantworten konnte. „Mein Leben war immer ein Puzzle, in dem viele Teile gefehlt haben“, sagt der 29-Jährige.

Als Baby wird er zur Adoption freigegeben, seine Adoptiveltern machen daraus kein Geheimnis. Bereits als Daniel vier Jahre alt ist, hört er davon zum ersten Mal: „Aber da nimmt man das natürlich noch nicht so auf.“ Erst als er älter wird, kommen immer öfter die Fragen auf: Woher komme ich? Wer sind meine Eltern? Warum wurde ich weggegeben?

Ein erstes Puzzlestück fällt ihm 2006 in die Hände: Auf dem Standesamt in Bitburg, als er seine Freundin heiratet, erfährt er zusätzlich zum Namen seiner leiblichen Mutter auch noch ihren Geburtsort und ihr Geburtsdatum. „Natürlich wollte ich da mehr wissen, aber wo fängt man an zu suchen – und wie?“, erinnert sich der Vater von zwei Kindern.

Seine Frau ist es schließlich, die den entscheidenden Vorstoß macht: Im September gibt sie den Namen auf der Internetplattform „Wer kennt wen“ ein. Erfolgreich – und sozusagen das nächste Puzzlestück. Denn neben Namen, Geburtsort und -datum haben die Schneiders jetzt auch ein Bild vor Augen. Es ist das Foto einer Frau, die Daniel so sehr ähnelt, dass eine Verwechslung fast ausgeschlossen ist. „Das war wie ein Schock“, sagt der 29-Jährige. Er will der Fremden über „Wer kennt wen“ eine Nachricht zukommen lassen. Er beginnt zu schreiben. Und löscht die Zeilen wieder. Setzt noch einmal an. Und löscht erneut. Schreiben. Löschen. Schreiben. Löschen. Bestimmt 30 Mal habe er eine Mail begonnen und sie wieder verworfen, sagt Daniel. „Dann habe ich mir gesagt: Schreib’s einfach, wie es ist – frei raus.“ Endlich ist die Nachricht ver8sendet. Nun heißt es warten für den 29-Jährigen. Immer wieder loggt er sich bei „Wer kennt wen“ ein, doch eine Antwort bekommt er nicht.

Schließlich sucht er den Namen bei „Facebook“. Erfolgreich. Auch hier hat sich die ihm fremde Frau mit ihren vollständigen Daten, einschließlich Mädchennamen, Geburtsort und -datum, eingetragen. Ein Zufall? Daniel sendet ihr eine Freundschaftsanfrage. Es dauert keine sechs Stunden, dann erhält er eine Antwort: „Woher kenne ich dich?“

Daniel schreibt zurück und fragt nach, ob die Unbekannte von Facebook möglicherweise im September 1981 ein Kind in der Eifel zur Welt gebracht und dann zur Adoption freigegeben habe. Die Antwort kommt postwendend: „Oh mein Gott. Ja, das bin ich.“

Auf Druck der Eltern Kind weggegeben

Ein weiteres, das bislang größte Puzzlestück für den 29-Jährigen: Er hat seine leibliche Mutter ausfindig gemacht. Sie lebt im amerikanischen Houston in Texas. Tag und Nacht schicken sich die beiden Nachrichten übers Internet – von Houston nach Badem, von Badem nach Houston.

Nach und nach füllen sich die Lücken, die bislang Daniels Leben unvollständig gemacht haben. Er erfährt, dass seine Mutter ihn mit 19 Jahren auf Druck der Eltern zur Adoption freigab. Er erfährt, dass sein Vater Franzose war. Und er erfährt, dass er drei Halbgeschwister hat. Die Neugier wird unerträglich. „Ich wollte sie unbedingt sehen!“ Anfang November beschließt der 29-Jährige, nach Amerika zu fliegen – trotz seiner Flugangst. „Kreidebleich und total nervös“ sei er in Houston gelandet – und dann auch noch das: Bei der Einreisekontrolle wird der Deutsche routinemäßig gefragt, was er in den USA vorhabe. Doch dieser antwortet alles andere als routinemäßig. Er sagt die Wahrheit. „Ich möchte hier meine leibliche Mutter treffen.“ Die Beamten sind skeptisch, zumal Daniel keine Telefonnummer seines Aufenthaltsorts angeben kann. Sie führen ihn in ein Büro, für Daniel erst einmal Endstation. Es dauert, zieht sich in die Länge, die Beamten nehmen ihm den Pass ab. Gehen weg, kommen wieder. Endlich darf Daniel die Einreisekontrolle passieren.

Es sind gemischte Gefühle, als er endlich der Frau, die ihn vor 29 Jahren geboren hat, in der Ankunftshalle in Houston in die Arme fallen kann: „Das war einerseits Freude, weil man sich nach so langer Zeit endlich gesehen hat, und andererseits war sie ja trotzdem eine fremde Person.“

Sieben Tage hat er Zeit, seine „neue Familie“ in Texas kennenzulernen. Sieben Tage, die wie im Flug vergehen.

„Die ganze Woche fing mit einem ,W’ an, ging mit einem ,o’ weiter und hörte mit einem ,w’ auf“, sagt Daniel. Eine Wow-Woche. Sie reden, essen Pizza, reden, gehen shoppen, reden, entdecken Gemeinsamkeiten – etwa, dass der Bruder ebenso wie Daniel keine Aufzüge mag – und reden weiter. Er erfährt, dass seine Mutter nie die Hoffnung aufgegeben hat, irgendwann ihren Sohn wiederzufinden: Deswegen hinterließ sie auch ihre vollständigen Daten auf zahlreichen Internetplattformen.

Das lange unvollständige Puzzle formt sich für Daniel allmählich zu einem Bild. Es ist ein Bild, das ihn Dankbarkeit empfinden lässt. Dankbarkeit gegenüber einer Frau, die ihn als Baby weggegeben hat: „Ich weiß nicht, wie mein Leben sonst verlaufen wäre. Aber ich weiß, dass ich bei tollen Eltern aufgewachsen bin, die mir viel ermöglicht haben.“



EXTRA

Ein Filmteam des amerikanischen Fernsehsenders „Fox Houston“ war dabei, als sich Mutter und Sohn im November am Flughafen in Houston das erste Mal nach 29 Jahren wiedersehen und in die Arme schließen konnten. Mit den Worten „The dreamteam ist complete“ („Das Dreamteam ist vollständig“) begrüßte Daniel seine „neue Familie“ vor laufender Kamera. Diese emotionale Szene sowie ein Live-Interview von Mutter und Sohn in einem Studio des Senders Fox wurden anschließend im amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt – und offenbar von zahlreichen Zuschauern gesehen: „I saw you on TV“ („Ich habe dich im Fernsehen gesehen“) bekam Daniel während seines Aufenthalts in Houston des Öfteren zu hören.

HINTERGRUND

Wer kennt wen, Facebook und Co.: Längst vergessen geglaubte alte Schulfreunde wiederfinden, sich virtuell austauschen, Fotos betrachten, über Gott und die Welt diskutieren – soziale Netzwerke im Internet wie „Wer kennt wen“ und Facebook machen es möglich. Allein Facebook nutzen weltweit über 500 Millionen Menschen, die hier nicht nur Kontakte pflegen, sondern auch an Umfragen und Spielen teilnehmen können. Ähnliches ist auch bei „Wer kennt wen“ möglich: Hier tummeln sich mehr als acht Millionen Mitglieder.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort