Und plötzlich ist Speicher kein Dorf mehr

Speicher · Ministerpräsident Kurt Beck verleiht der Ortsgemeinde Speicher am Sonntag den Titel "Stadt". Der TV hat sich umgehört, was die Speicherer davon halten, ab übermorgen Stadtbewohner zu sein.

Speicher. "Aus Raider wird Twix, sonst ändert sich nix!" Dieser Werbeslogan für die Umbenennung eines Schoko-Riegels könnte auch für Speicher herhalten. Wenn aus dem 3000-Seelen-Ort am Sonntag die Stadt Speicher wird, ändert sich im Grunde auch nichts.
Gut, Ministerpräsident Kurt Beck kommt zu Besuch. Das kommt nicht allzu häufig vor. Der Landesvater wird dann Speichers Ortsbürgermeister Erhard Hirschberg mit Handschlag begrüßen und hernach dem frischgebackenen Stadtbürgermeister die Stadt-Urkunde in die Hand drücken. Was ändert sich noch? Eine Stadt braucht ein Stadtschild. Das Ortsschild muss ersetzt werden. Und Speicher bekommt ein Goldenes Buch. Wer sich dort als Erster verewigen darf, ist leicht zu erraten.
Nahe der Pfarrkirche St. Philippus und St. Jakobus ist Halit Rejep in seine Arbeit vertieft. Eine Zigarette qualmt zwischen seinen Zähnen. Der 63-Jährige arbeitet als Bediensteter für die Verwaltung, pflegt das Ortsbild und kümmert auch sonst um das schmucke Aussehen des Ortes. Heute sprüht er Unkrautvernichter zwischen die Fugen des örtlichen Pflasters, damit schon übermorgen kein Unkraut mehr das städtische Pflaster verschandelt. Seit elf Jahren ist Speicher die Heimat des gebürtigen Kosovaren. Er findet es gut, dass sein Zuhause nun Stadt wird. "Speicher ist ja eine Stadt. Hier gibt es alles, was es in einer Stadt geben muss. Zum Einkaufen brauche ich nicht nach Bitburg oder Wittlich zu fahren", sagt er und widmet sich wieder dem örtlichen Unkraut, dessen Tage gezählt sind.
Voller Vorfreude sind Brigitte (64) und Tochter Monika (36) Schlagecken. Die beiden Frauen freuen sich, dass Speicher den Titel erhält. Sie betreiben einen Blumenladen. "Ich finde das super, dass jetzt auch Speicher Stadt wird. Wenn Kyllburg eine Stadt ist, dann sind wir das schon lange", sagt Brigitte Schlaghecken. Es mache mehr her, wenn man zum Einkaufen in die Stadt Speicher fahre. Das findet auch Tochter Monika. "Für Geschäftsleute hat das nur Vorteile. Allein der Stadttitel ist ein Publikumsmagnet", sagt sie.
So euphorisch sieht das Peter Platz nicht. Er steht am Grill in seinem Imbiss. "Ich brauche das nicht", sagt er. Er befürchtet, dass sich aufgrund des Stadttitels die Gewerbesteuer erhöht und er mehr Geld abdrücken muss. "Ob das so ist, weiß ich nicht. Alle sagen aber, dass es so ist", sagt der 52-jährige Imbisswirt. Er ist dagegen. Auf der Straße ist Rentner Karl Platz unterwegs. Dem 79-Jährigen ist es egal, ob Speicher nun eine Stadt ist oder nicht. "Ich halte nicht viel davon. Ich habe nichts dagegen und es stört mich nicht."
Nicht jeder klatscht vor Vorfreude in die Hände. Manch einer ballt die Faust in der Tasche. Nur für die Kritik, dass der Ort sich demnächst Stadt nennen darf, geradestehen - das mögen die Herren nicht, die am Stammtisch in einer Pizzeria in ihren Espressotassen rühren. Dafür halten sie den Coup aber für "den größten Unsinn". Nein, seine Meinung möchte der Wortführer des Trios lieber nicht sagen. Das wäre schlecht fürs Geschäft. "Sonst bekomme ich Schwierigkeiten", grummelt der Namenlose. Trotzdem gäbe es Wichtigeres zu tun in der "Stadt", als sich im Glanze eines Titels zu sonnen. Straßen reparieren, Investitionen in die Schule und vieles mehr, was dem Kritiker just nicht einfällt. Also wird weiter der Frust in die Espressotassen gerührt.
Einige Straßen weiter. Von draußen ist zu sehen, dass in dem Frisiersalon ausgelassene Stimmung herrscht. Drinnen ist ordentlich Betrieb. Auf die Frage, was man davon halte, dass Speicher Stadt wird, kehrt schlagartig Totenstille ein. Die Gespräche verstummen jäh, die Haarföhne schweigen. Alles andere auch. Ja, er habe eine Meinung dazu, aber die möchte er auf keinen Fall kundtun, bittet der Chef des Frisiersalons um Verständnis für seine Diplomatie. Langsam kehrt die Betriebsamkeit zurück. Die Föhne haben sich vom Schreck erholt und fangen an, wieder loszuschreien.
Warum einige Speicherer schimpfen und warum sie ihre Kritik an der Stadtwerdung nicht laut äußern möchten, darauf kann sich Ortsbürgermeister Erhard Hirschberg keinen Reim machen. "Das wundert mich. Denn die Speicherer sind als sehr offene Menschen bekannt", sagt das Stadtoberhaupt in spe. Natürlich habe man noch viele Aufgaben vor sich, die gemacht werden müssten. "Aber der Titel wertet Speicher nicht nur verbal auf, sondern belebt die Stadt", sagt Hirschberg. Finanziell ändere sich nichts. Speicher werde als Stadt weder reicher noch ärmer. Auch würden die Steuern nicht erhöht, was viele vermuteten. "Es ändert sich nur das Ortsschild und der Briefkopf der Verwaltung." Unterm Strich: Speicher bleibt Speicher, wie es leibt und lebt. So ist es wie mit dem Schokoriegel. Es ändert sich nix.Meinung

Mehr Städte für die Eifel!
Man mag es gut finden, es für überflüssig halten oder als Unfug abtun. Dass Speicher künftig Stadt ist, das polarisiert. Nur: Der Stadttitel tut niemandem weh. Es bleibt alles beim Alten. Die Sonne geht morgens über der Stadt auf und geht abends hinter den Eifeler Hügeln unter. Das hätte sie auch gemacht, wenn Speicher Ortsgemeinde geblieben wäre. Vielleicht kommen Dudeldorf und Rittersdorf auch auf den Geschmack. Wenn das Beispiel Speicher Schule macht, dann könnten in der Eifel bald weitere Städte aus dem Boden schießen. Und wenn die demografische Katastrophe zuschlägt, dann gibt es kein Dörfersterben, sondern echte Geisterstädte. d.zapp@volksfreund.de

Extra


Im Internet-Lexikon wikipedia.de wird Speicher längst vor der Ernennung zur Stadt als ebensolche gelistet. Damit ist das Töpferzentrum der Südeifel mit seinen 3130 Einwohnern die fünfte Stadt im Eifelkreis Bitburg-Prüm. Die beiden Eifel-Metropolen, die dem Kreis seinen Namen geben, besitzen einige Stadtbewohner mehr: Bitburg, 12 772 Einwohner, und Prüm, 5280 Einwohner. Dahinter rangieren Neuerburg (1496 Einwohner) und Kyllburg (955 Einwohner). Ministerpräsident Kurt Beck kommt am Sonntag, 8. Mai, um Speicher den Titel "Stadt" zu verleihen. Um 14.30 Uhr finden im katholischen Pfarrheim die Feierlichkeiten mit musikalischem Programm statt. Um 15 Uhr beginnt die offizielle Festveranstaltung mit der Verleihung der Urkunde "Stadt Speicher" durch den Ministerpräsidenten. (zad)

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