Unermüdlicher Einsatz für Lebende und Tote

Bitburg feiert die erste urkundliche Erwähnung der Stadt vor 1300 Jahren. Der Volksfreund stellt in einer Serie 13 Persönlichkeiten aus 13 Jahrhunderten vor. Heute geht es um Gerda Dreiser, die vor allem wegen ihrer Heimatgeschichten bekannt war, die aber auch große Hilfen als Rotkreuzschwester leistete.

In den letzten Jahrzehnten ihres Lebens hat sich die Bitburgerin Gerda Dreiser vor allem durch ihre vielen Heimatgedichte- und geschichten einen Namen gemacht. Fast in Vergessenheit geraten ist dabei, was diese Frau in den Jahren davor bereits geleistet hat. Gerda Dreiser hat als Rotkreuzschwester dafür gesorgt, dass die Kriegsverletzten versorgt und die Kriegstoten ordentlich begraben wurden.
1300 Jahre Bitburg

 Das Gräberfeld, an dem Dreiser auf dem Foto steht, wurde erst nach 1945 für die in einem Massengrab beigesetzten Gefangenen angelegt, die zuvor in einem Massengrab verschüttet waren. TV-Foto: Archiv

Das Gräberfeld, an dem Dreiser auf dem Foto steht, wurde erst nach 1945 für die in einem Massengrab beigesetzten Gefangenen angelegt, die zuvor in einem Massengrab verschüttet waren. TV-Foto: Archiv

Foto: (e_bit )


Ein Totenzettel sagt nicht zwangsläufig viel über den Menschen aus, an den dadurch erinnert werden soll. Der von Gerda Dreiser jedoch tut es. Nicht nur, weil er recht umfangreich ist, sondern auch, weil Gerda Dreiser ihn selbst verfasst hat. Er zeugt von dem Selbstbewusstsein, das Gerda Dreiser eigen war. Aber auch von ihrer Dankbarkeit und ihrem Glauben. "Ich danke Gott, dass ich vielen Menschen im Leben helfen konnte", steht auf diesem, von Gerda Dreiser für sich selbst verfassten Totenzettel. Und sie dankt dafür, dass Gott ihr "die Kraft gegeben hat, die Einsamkeit des Alters zu ertragen". Die letzten Tage ihres Lebens verbrachte Gerda Dreiser im Altenheim. Bis sie am 6. Januar 1991 im Alter von 84 Jahren starb. "Herr, jetzt kehre ich heim zu Dir!", steht auf dem Totenzettel.
Gerda Dreiser hatte das Glück, ihre letzte Ruhe auf einem Friedhof zu finden. Das mag aus heutiger Sicht eine Selbstverständlichkeit sein. Doch für jemanden, der wie Gerda Dreiser zwei Weltkriege miterlebt hat, war es das ganz sicher nicht. Denn die Frau, die am 16. Februar 1906 in Malberg das Licht der Welt erblickte, hat in ihrem Leben nicht nur viele verletzte Menschen gesehen, sondern auch unzählige Tote. Und davon haben die meisten ihren Frieden nur deshalb auf einem Friedhof gefunden, weil Gerda Dreiser dafür gesorgt hat.
Vom Ersten Weltkrieg hat sie nur wenig mitbekommen. Zu dieser Zeit besuchte das Mädchen Gerda die Schule. Erst die Volksschule, dann die Höhere Töchterschule St. Raphael in der Kölner Straße und danach das Internat der Ursulinen in Boppard, bevor sie schließlich ihre schulische Laufbahn an der Handelsschule in Bitburg beendete. Bitburg war ihre Heimat. Obwohl sie in Malberg geboren war, hat sie dort nur wenige Tage gewohnt. Gerade mal zwei Wochen nach ihrer Geburt zog die Familie nach Bitburg. In das Haus, das ihr Vater, Chef eines kleinen Steinmetzbetriebs, gerade gebaut hatte.
Gerda Dreiser engagierte sich schon früh in Vereinen - und ab 1933 dann schließlich auch beim Roten Kreuz. Als Sanitäterin stieg sie rasch zur Kreisbereitschaftsführerin auf. Bis dahin war das Leben der Gerda Dreiser noch ein recht behütetes. Doch mit dem Zweiten Weltkrieg sollte sich das ändern.
Als Rotkreuzschwester kümmerte sie sich um die Verwundeten. Und was Sie da erleben musste, ging an die Substanz. "Sie sprach - auch 30 Jahre später noch - mit großer Bedrückung von den Verwundeten und Verstümmelten, denen sie beigestanden hatte, sie erzählte von schlimmen Einzelschicksalen, von blutjungen Soldaten, die sterben mussten und denen sie nicht hatte helfen können", schreibt Bitburgs Stadtarchivar Peter Neu, der Gerda Dreiser persönlich kannte.
1945 war der Krieg vorbei. Für die Rotkreuzschwester allerdings nicht. Sie kümmerte sich zunächst um die deutschen Soldaten in den französischen Gefangenenlagern, sammelte für sie zentnerweise Kleidungsstücke. Doch die weitaus größere Aufgabe stand ihr noch bevor.
Nach dem Krieg gab es überall im Kreisgebiet Soldatengräber. Auf Wiesen und Feldern, in Wäldern und entlang von Wegen und Straßen. Die meisten wurden dort begraben, wo sie auch getötet worden waren. Gerda Dreiser war der Auffassung, dass all diesen Opfern eine Beisetzung auf einem Friedhof gebührte. Zudem gab es ja auch viele Familienangehörige, die gar nicht wussten, was mit den im Krieg verschollenen Söhnen, Brüdern und Vätern passiert war.

So legte Gerda Dreiser bereits 1945 eine Suchkartei mit rund 5000 Namen an. Und sie kümmerte sich um die Exhumierung von mehr als 3000 Leichen - und das nicht nur am Schreibtisch, sondern auch vor Ort. Anhand der persönlichen Gegenstände versuchte sie, die Opfer zu identifizieren. Sie sorgte dafür, dass die Toten umgebettet wurden. Zunächst auf den Soldatenfriedhof, der von den Rotkreuzhelferinnen eigens am Friedhof in der Erdorfer Straße errichtet worden war, und später dann auf Kolmeshöhe und andere Friedhöfe.
"Dass dies eine Frau tat und dass sie das seelisch aushielt, ist eigentlich unvorstellbar", schreibt Stadtarchivar Neu. "Heute müsste ein ganzes Heer an Psychologen und Psychiatern antreten, um einen solchen Menschen wieder aufzurichten."
Dass Gerda Dreiser an diesen Erlebnissen nicht zugrunde ging, hing womöglich - so vermutet es Neu zumindest - mit einer großen Leidenschaft dieser ungewöhnlichen Frau zusammen: "Es war ihre Fähigkeit zu schreiben und auch, sich die Dinge von der Seele zu schreiben." Sie, die ja ganz nebenbei auch noch einen Beruf im Landratsamt ausübte, war nicht nur Rotkreuzschwester, sondern auch eine begeisterte Heimatdichterin. Regelmäßig war sie mit Beiträgen im Heimatkalender des Kreises vertreten. Sie schrieb unermüdlich - und das bis zu ihrem Lebensende 1991. Da war sie 84 Jahre alt.
Sie hat viele Gedichte zu Papier gebracht - und eines sogar zu Bronze. Gerda Dreiser hat nämlich 1961 den Glockenspruch für die Stadtglocke der damals neu errichteten Kirche St. Peter verfasst. Für die Heimatdichterin war das eine besondere Ehre. Eine noch größere war allerdings die Florence-Nigthingale-Medaille des Internationalen Roten Kreuzes, die sie im Mai 1955 überreicht bekam. Damit wurde sie auf höchster Ebene für ihr selbstloses Handeln ausgezeichnet. Beim Internationalen Roten Kreuz hat man gewusst, was man an ihr hat. In Bitburg selbst aber eher weniger. Ihr Einsatz ist vielen vergessen.

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