Vergeblich um Gnade gebeten

Das Ende des Krieges begann sich bereits im Herbst 1944 abzuzeichnen. Im September waren die alliierten Truppen in Wallendorf durchgebrochen und hatten einen Vorstoß bis Stockem- Olsdorf unternommen. Wir hörten in unserem Dorf das Rattern der Maschinengewehre und vereinzelt auch den Abschuss von Granaten. Offenbar hatten sich die amerikanischen Truppen danach wieder bis auf die Luxemburger Seite zurückgezogen. Mein Vater und ein Mann namens Jenny oder Henny aus Hüttingen, der als Flüchtling in Wissmannsdorf wohnte, hatten in wenigen Tagen in die Felswald eines ehemaligen Steinbruchs unweit unseres Hauses einen Stollen gebrochen, als wir wie aus heiterem Himmel einige Jabos auf das Dorf zukommen sahen, und schon krachte es. Unweit unseres Bunkers, vielleicht 200 Meter entfernt, waren ein paar Bomben eingeschlagen und hatten drei Häuser zerstört, dabei ausgerechnet auch das kleine Haus der wohl ärmsten Frau im Dorf. Die Bomben galten der Funkstation in der Schule gegenüber den zerstörten Häusern. Anfang Oktober mussten wir ein weit schlimmeres Ereignis hautnah miterleben. Ich war erst neun Jahre alt und hatte bis dahin die Schrecken und Folgen eines Krieges noch nicht begriffen. Um so mehr wurde es mir durch das schlimme Geschehen an einem Tag bewusst. Meine Schwester und ich kamen gerade vom Feld, als von Brecht her eine Kompanie Soldaten ins Dorf einmarschierte, ein Hauptmann voran auf einem Pferd. Dieser törichte Mann wusste noch nicht einmal, wo er sich befand, denn wir hörten seinen mahnenden Befehl, dass man sich in Feindesland befinden würde.Toter lag zwei Tage auf einem Handkarren

Unmittelbar bei unserem Haus hieß es ablegen für eine Rast. Die Soldaten liefen eilig in die beiden Läden, um sich mit Zigaretten und so weiter zu versorgen. Ein Soldat hatte in einem Laden mit seinem Tornister die damals üblichen Bonbongläser auf dem Tresen umgestoßen. Ein OT-Mann (Organisation Todt), der es beobachtet hatte, machte Anzeige beim Hauptmann, der Mann habe geraubt und geplündert. Der rigorose Hauptmann befahl sofort, den Mann zu erschießen. Auf den Knien bat der arme Soldat, der aus Hermesdorf in Thüringen stammte, um Gnade; er habe eine Familie und drei kleine Kinder. Das ganze Dorf war inzwischen auf den Beinen und die Leute schimpften. Auch der Pastor versuchte, auf den Hauptmann einzuwirken, das Urteil nicht zu vollstrecken. "Seien Sie ruhig, sonst stelle ich Sie daneben", war dessen Antwort. Das Urteil wurde 100 Meter entfernt vor den Augen der Leute vollstreckt. Auf einem Handkarren lag der tote Soldat zwei Tage hinter der Mauer des Pfarrgartens, bis ein Kommando ihn auf dem Wißmannsdorfer Friedhof beerdigte. Die Angehörigen kamen später, um sich zu erkundigen. Man hatte ihnen mitgeteilt, dass ihr Vater und Sohn im Kampf für das Vaterland gefallen sei. Rudolf Leisen, Autor dieses Beitrags, ist 69 Jahre alt. Der gebürtige Wißmannsdorfer Bankkaufmann ist kommunalpolitisch in verschiedenen Gremien aktiv und leitet seit 35 Jahren das örtliche Volksbildungswerk.

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