Von kleinen Teufeln und hängenden Männern

Irrel · Rosa, gelb, lila oder weiß: Die Farbenvielfalt der filigranen Wildorchideen ist groß, doch ihre Gefährdung ist noch größer. Zur Aufklärung hat der Naturpark Südeifel eine Broschüre über die zarten Pflanzen herausgegeben. Der TV begibt sich mit einem Kenner auf Entdeckungstour in der Südeifel.

 Mit Verwacklungsschutz, Stativ und Kamera auf Entdeckungstour zu den Orchideen. Werner Becker vom Arbeitskreis heimischer Orchideen kennt sich mit den wilden Schönheiten aus. TV-Foto: Mandy Radics/ Fotos (3): Werner Becker, (2), Günther Müller (1)

Mit Verwacklungsschutz, Stativ und Kamera auf Entdeckungstour zu den Orchideen. Werner Becker vom Arbeitskreis heimischer Orchideen kennt sich mit den wilden Schönheiten aus. TV-Foto: Mandy Radics/ Fotos (3): Werner Becker, (2), Günther Müller (1)

Irrel. Auf Tour in die Natur. Die wilden Schönheiten mit eigenen Augen sehen. Werner Becker, Leiter der Regionalgruppe des Arbeitskreises heimische Orchideen (Aho), nimmt Interessierte mit auf Entdeckungsreise zu den gefährdeten Wildorchideen. An der neuen Orchideen-Schutzbroschüre (siehe Extra), die gerade erst vom Naturpark Südeifel herausgegeben wurde, hat Becker mitgearbeitet.
Als Erstes will er ein Versprechen. "Bitte schreiben Sie nicht, wo genau sich die Fundorte befinden", sagt Becker. So soll es sein. Dann startet die Tour an der Irreler Mühle, Becker läuft entlang der rauschenden Nims, irgendwann biegt er in den Wald ab. "Die Blütezeit war dieses Jahr extrem früh", weiß Becker.
Ausgraben tötet Orchideen


Ihre Blütenkörbe gleichen Körpern von kleinen Hummeln und hängenden Männern. Ja, sogar kleine Teufelchen und baumelnde rosa Äffchen finden sich in den zarten Köpfchen der Orchideen abgebildet. Eben weil sie so hübsch sind, wollen einige Menschen sich die Blumen zu eigen machen und sie aus dem Wald in ihre eigenen Gärten pflanzen. "Ich habe schon Leute mit Eimern voller ausgegrabener Orchideen aus dem Wald kommen sehen", sagt Becker verärgert. Dass die filigranen Schönheiten im Garten dieser Leute meist eingehen, weil ihnen dort der Pilz fehlt, der sie im Waldboden wachsen lässt, findet Becker traurig.
Heute gibt es von sogenannten "Orchidioten" - so nennt Becker solche Menschen gern - keine Spur. Er wandert bergauf, immer auf rund 20 Zentimeter breiten Pfaden entlang. "Die haben Generationen von Menschen geprägt", sagt Becker. "Immer auf dem Weg bleiben, sonst zertritt man vielleicht eine Orchidee." Plötzlich bleibt Becker stehen. "Dort ist ein Purpur-Knabenkraut, leider ist es schon verblüht." Erst einmal sind nur Wiesenblumen zu sehen, bevor die kleine Pflanze auffällt.
Also zieht Becker weiter, er scannt jetzt mit den Augen die Flächen und entdeckt eine Orchidee mit rosa-braunem Blütenkorb. Natürlich kennt der Orchideenliebhaber sie alle. Die Entdeckung ist eine Hummel-Ragwurz. Das schöne Exemplar kommt gleich vor die Kameralinse. "Die Ragwurze haben sich deutlich vermehrt", sagt Becker, während er sein Stativ mit Kamera aufbaut. Damit die zarten Pflänzchen nicht zu sehr im Wind schwanken, hat er einen Verwacklungsschutz dabei. Er rammt einen dünnen Metallstab in den Boden, während er die Orchidee vorsichtig an einer Querstrebe des Stabes befestigt. So grazil wie die Blume ist auch das Werkzeug Beckers. Als er seine Taschen leert, kommen Pinzette, Taschenmesser, Schere, Zange und Metermaß zum Vorschein. Letzteres braucht er, um das Prachtexemplar einer Boxriemenzunge zu messen. Die ist stattliche 46 Zentimeter hoch. Die Orchidee ist rosa mit lang gedrehten Blütenzungen und lila Sprenkeln im Blütenkorb. "Was für ein Fotomodell", sagt er lachend.
Die kleinen Schönheiten in natura sehen zu dürfen, ist etwas anderes als ein Foto. Alte Arten verschwinden auch, während andere Arten wieder auftauchen, so Becker. Der Aho-Chef hat sie alle abgelichtet. Er fährt im Jahr alleine 10 000 Kilometer nur wegen der Orchideen. "Ich habe 150 000 Dias und seit 2005 80 000 Fotos geschossen." Kein Wunder also, dass viele seiner Fotos in der Orchideen-Schutzbroschüre gezeigt werden.
Blütezeit noch bis Ende Juli


Orchideen brauchen mindestens zwei Jahre, um sich zu entwickeln. "Bei anderen dauert es sogar 15 Jahre", weiß Becker. Bestäubt werden die Blüten von Bienen, Hummeln und Wespen. Und die brummen ständig an seinen Ohren vorbei. "Die Wildbiene dort hat ihre Transporthöschen schon voll", sagt Becker lachend. Tatsächlich sind ihre Hinterbeinchen leuchtend gelb, als sie weiterfliegt.
Er pirscht sich weiter vor, durch hohes Gras, Margeriten, blaue Ackerwitwenblumen und Rapunzel-Glockenblumen. Der Orchideenfreund kennt auch sämtliche Pflanzen und Tiere, die rund um die Orchideen leben. "Hier wimmelt es von kleinen Füchsen und Graseulen." Weder laufende noch größere fliegende Tiere sind zu sehen, nur flatternde Schmetterlinge. Na klar! Füchse sind die orangen, Graseulen die grünlich-braunen Schmetterlinge, die tatsächlich aussehen, als hätte jemand ein Eulengesicht auf ihre Flügel gezeichnet. Am schönsten ist der winzige Wiesenknopfameisenbläuling, dessen Namen man sich kaum merken kann, der aber leuchtend lila-blau ist. "Wichtig ist, das Gesamte zu sehen. Wenn alles so kreucht und fleucht wie hier, ist die Natur auch in Ordnung", sagt Becker.
Nach dieser Tour ist verständlich, warum viele von diesen Pflanzen schwärmen, auch wenn Becker dieses Mal weder die rosa Äffchen noch die hängenden Männer gesehen hat. Wer will, kann immer noch Orchideenwanderer werden. Bis Ende Juli blühen die Orchideen noch.Extra

In Europa gibt es 200 Orchideen-Arten. Von insgesamt 60 Arten in ganz Deutschland finden sich allein 30 in im Naturpark Südeifel. Kaum eine Pflanzenart ist so gefährdet wie die Orchidee. Zum einen, weil die Wiesen, auf denen sie wachsen, gedüngt wurden und sie nur auf mageren Standorten wachsen. Zum anderen, weil sie ausgegraben werden. Die Standorte werden deshalb nicht öffentlich gemacht. Nur auf einer geführten Wanderung kann man die kleinen Schönheiten in natura sehen. MRAExtra

Die Orchideenschutz-Broschüre ist beim Naturpark Südeifel für eine Schutzgebühr von 3,50 Euro erhältlich. Telefon: 06525/79206. Zudem steht die Broschüre zum Download bereit unter www.naturpark-suedeifel.de. Der Arbeitskreis heimische Orchideen wurde 1981 gegründet. Er erforscht die heimischen Orchideen und deren Lebensräume, will die Pflanzen erhalten und ihren Schutz fördern. Werner Becker ist seit 1985 dabei. Infos bei Werner Becker, Telefon: 06503/2905 oder 0160/4336876. MRA

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