Vortrag von Buchautor Henkel in Bitburg: Ist das Dorf denn noch zu retten?

Bitburg/Prüm · Professor Gerhard Henkel hat in der Bitburger Stadthalle über die Zukunft des deutschen Dorfes gesprochen. Dabei hat der Wissenschaftler massive Kritik an der Zusammenlegung von Kommunen und Pfarreien geübt.

 Positives Beispiel: Meckel hat 2014 beim Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ abgeräumt. TV-Foto/Archiv: Fritz-Peter Linden

Positives Beispiel: Meckel hat 2014 beim Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ abgeräumt. TV-Foto/Archiv: Fritz-Peter Linden

Foto: (e_bit )

"Kommunale Gebietsreformen töten Dörfer", wettert Gerhard Henkel. Das gefällt so manchem im Publikum, der mit den Kommunalreformen im Eifelkreis Bitburg-Prüm oder in der Vulkaneifel nicht einverstanden ist. Diese Reformen würden die Selbstverantwortung kleiner Kommunen gefährden, und die sei ein hohes Gut. "In Dörfern entsteht ein großes Loch, wenn sie keinen eigenen Rat oder Bürgermeister mehr haben", sagt Henkel. Dieses Loch klaffe momentan in etwa 20 000 Dörfern in ganz Deutschland; 300 000 ehrenamtliche Lokalpolitiker seien in den letzten Jahren so ihres Amtes enthoben worden. "Damit sendet der Staat das Signal: Wir brauchen euer lokales Denken nicht!"

Seit mehr als 40 Jahren Jahren erforscht Henkel die historische und aktuelle Entwicklung des Dorflebens (siehe Info). Die Kreissparkasse Bitburg-Prüm hat ihn zu einem Vortrag in die Bitburger Stadthalle eingeladen. "Dorf-Papst" wird der viel zitierte Wissenschaftler genannt. Landrat Joachim Streit fordert ihn entsprechend auf: "Ihre Jünger sind da, legen Sie los!"

Henkels Appell: "Rettet das Dorf!" Es gebe durchaus positive Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten, betont Henkel. Er hebt etwa die Bedeutung der Vereine hervor, die für Zusammenhalt sorgen und sich um Kultur, Sport und Freizeit im Dorf kümmern. "Der Sportverein in meinem Heimatdorf hat heute zwölf Abteilungen mit Männer-, Frauen-, Jugend- und Kindermannschaften", erzählt Henkel. "Zu meiner Jugend gab es nur eine Fußballabteilung mit zwei Mannschaften - und einem Ball!"

Die technische Infrastruktur der Dörfer sei heutzutage auf einem sehr guten Stand, Dorfbewohner seien ebenso wie Stadtbewohner "weltoffene Globetrotter", und die Grenzen zwischen Katholisch und Evangelisch oder Jung und Alt seien Vergangenheit. Besonders "wohltuend" findet er, dass die Eifel sich als Leader-Region qualifiziert und Initiativen wie den Baukulturpreis ins Leben gerufen hat.

Doch nun das große "Aber": "Trotz der positiven Entwicklungen werden die Dörfer immer leerer", sagt Henkel. Betriebe, Schulen und Banken würden abwandern - und am schlimmsten: die Jugendlichen. "Die kommen auch nicht wieder zurück." Die Folgen: Familienbetriebe werden nicht weitergeführt, Gebäude stehen leer, Dörfer werden aufgegeben. Die Zukunft des Dorfes entscheidet sich laut Henkel auf zwei Ebenen - "oben", also bei den Entscheidern in den großen Städten, und "unten", also in den Dörfern und Gemeinden selbst. "Auf beiden Ebenen brauchen wir viele Akteure, die für das Dorf kämpfen." Besonders wichtige Kämpfer seien die Vereine, sie seien "das deutsche Erfolgsmodell der zivilen Selbstorganisation". Henkel schlägt vor, dass mehr Gemeinden ihre Vereine gezielt unterstützen, etwa mit Beratung in rechtlichen Fragen.

Doch er sieht auch "unten" Verantwortung, also bei den Dorfbewohnern selbst: Zu oft fänden Vereine heutzutage niemanden, der dazu bereit ist, den Vorsitz oder einen Trainerjob zu übernehmen. Außerdem werde das Vereinsleben nicht genug gewürdigt. "Eltern bringen ihre Kinder zum Sportplatz, kurbeln aber nicht das Autofenster runter, um mal zu fragen, ob sie aushelfen können."

Die größte Stärke des Dorflebens sei, dass jeder Bürger an politischen Entscheidungen und an der Gestaltung seiner Heimat mitwirken könne. "Diese Möglichkeit muss man nutzen!", sagt Henkel. Doch sie dürfe auch nicht "von oben" eingeschränkt werden etwa durch bürokratische Hürden bei Anschaffungen, durch Gebietsreformen oder Schulschließungen, die sich nur an Einwohnerzahlen orientieren. Auch die Kirche ist nicht sicher vor Henkels Kritik: Das Zusammenfassen tausender Pfarreien in Deutschland sei ein Fehler. Die Kirche sei im Dorf oft nicht nur seelsorgerisches, sondern auch kulturelles Zentrum. "Die Amtskirche beseitigt die Volkskirche und beraubt sich damit selbst ihrer treuesten und engagiertesten Anhänger."

Henkel bemüht sich, die Probleme und Lösungsansätze nicht wissenschaftlich, sondern verständlich zu erläutern und erntet viel zustimmendes Nicken beim Publikum. Dennoch: Er versucht, den Inhalt seines 200-Seiten-Buches "Rettet das Dorf!" auf einen 45-Minuten-Vortrag zu komprimieren. Nach 90 Minuten spricht er immer noch. Aus dem Nicken wird hier und da ein unruhiges Wippen, ein Blick aufs Smartphone, ein Tuscheln. Zuletzt rüttelt Henkel sein Publikum aber noch mal wach, appelliert direkt an die Lokalpolitiker, die Vereinsvorsitzenden, die Feuerwehrleute, die Lehrer und die Förster: "Gebt dem Dorf seinen Stolz zurück!"Extra: DER "DORF-PAPST"

"Ich bin Dorfbewohner seit Geburt, und ich bin es bis heute geblieben", sagt Professor Doktor Gerhard Henkel über sich selbst. Er ist 1943 im westfälischen Fürstenberg geboren. In den 1960er Jahren studierte er Geografie und Germanistik in Münster, Würzburg und Köln, kehrte aber immer wieder in sein Heimatdorf zurück. Er ist Professor für Geografie an der Universität Duisburg-Essen. Sein Buch "Das Dorf: Landleben in Deutschland gestern und heute" gilt als Standardwerk.

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