Wallung wegen der steinernen Jungfrau

Manche Geschichten sind wundersam. In einer Serie geht der TV solchen Geschichten auf den Grund. So auch dieser: Genau heute vor 28 Jahren glaubten Jugendliche, auf einer Felswand im Licht ihrer Taschenlampen die heilige Jungfrau leuchten zu sehen. Kurz darauf überrannten Zigtausende Pilger ihren Ort Bergweiler.

Bergweiler. Freitag, der 13. August 1982. Es geschah in der Nacht. Und niemand hätte sich in dieser Nacht träumen lassen, welche Auswirkungen es haben würde.

Bruno Braun aus Bergweiler war mit ein paar Freunden in der Hundskaul zelten - einem kleinen Schiefersteinbruch in der Nähe des Dorfes Bergweiler bei Wittlich. Sie machten Lagerfeuer, grillten und tranken ein paar Bierchen. Anders als die Zeitungen später berichten würden, wusste Bruno Braun schon lange, was es dort zu sehen gab. "Von alten Leuten aus dem Dorf", wie er nun, genau 28 Jahre später, sagt. Doch die anderen Jungs offenbar nicht. Denn sie riefen noch in der gleichen Nacht ihre Familien herbei, um zu bestaunen, was sie entdeckt hatten: Glitt man mit dem Strahl einer Taschenlampe über die Schieferwand, so zeichnete sich plötzlich eine leuchtende Figur ab: eine etwa menschengroße Frauengestalt mit geneigtem Kopf, die ein Kind auf dem Arm hält. Die Muttergottes! Die Jungfrau Maria! So die Nachricht, die sich daraufhin wie ein Lauffeuer verbreitete. Erst im Dorf. Und dann in der gesamten Republik. Denn innerhalb kürzester Zeit hatte die Presse Wind von dem "Marienwunder in der Eifel" (Bild-Zeitung) bekommen und berichtete genüsslich über all das, was dem Örtchen Bergweiler daraufhin widerfuhr.

Es wurde überrannt. Zigtausende Menschen pilgerten in den kommenden Wochen zu dem kleinen Steinbruch. Oft Tausende täglich. "Betrieb wie beim Länderspiel", sagt ein Augenzeuge. "Da war die Hölle los", ein anderer. Hunderte Autos standen auf den innerhalb kürzester Zeit völlig plattgetrampelten Wiesen in der Nähe des Steinbruchs, die Straßen waren verstopft, und täglich mussten rund 15 Polizisten Sondereinsätze schieben, um das Chaos einigermaßen zu beherrschen, das so plötzlich über den Eifelort hereingebrochen war. Der Ortsbürgermeister schimpfte. Ebenso wie der Pastor, der keineswegs geneigt war, an ein Wunder zu glauben. "Das ist alles Humbug", sagte er der Zeitschrift "Das Goldene Blatt". Verantwortlich für die leuchtende Erscheinung seien ganz einfach Kupferadern, die den Schiefer durchziehen. Auch das Bistum hielt nichts von dem Spektakel.

Anders als einige Jugendliche aus dem Dorf, für die die Gelegenheit ihres Lebens gekommen war, sich das Taschengeld aufzubessern. Jörg Halstein, der heute in Trier lebt, besorgte damals mit dem Moped palettenweise Aldi-Limonade, die er am Steinbruch für 50 Pfennig weiterverkaufte. Andere verkauften Bier. Wieder andere Schiefersteine.

Und die Pilger kauften - und hofften. Manche kamen mit blinden Kindern, für die sie sich Heilung versprachen, andere im Rollstuhl, andere aus reiner Neugierde.

Heute zeugen nur noch vergilbte Zeitungsausschnitte von den Gefühlen, die sich in dem amphitheaterförmigen Halbrund des kleinen Steinbruchs entladen haben müssen: Ein weinendes Mädchen greift sich ergriffen ans Herz, ein Mann küsst den Fels, und Hunderte Augen blicken gebannt Richtung Schieferwand, wo sich einigen von ihnen nach Sonnenuntergang (tagsüber war nichts zu erkennen) die Muttergottes zeigte. Allerdings keineswegs allen. Auch dem Volksfreund-Reporter nicht, der anders als so mancher seiner begeisterten Boulevard-Kollegen, nichts sah, "als die von 30 Taschenlampen angeleuchteten vagen Umrisse eines Mannes im Felsen".

"Wer sie sehen wollte, hat sie gesehen", sagt Günter Molitor - der sich wegen des ganzen Trubels ernsthaft Sorgen machen musste. Denn ihm und seiner Schwester gehörte und gehört der Steinbruch. Aus Angst, jemand könne die Felswand herabstürzen, sicherten sie die Abbruchkante mit einem Zaun. Dennoch kam es zu Unfällen. Eine Frau stürzte. Einer anderen fiel ein Stein auf den Kopf. Und irgendwann reichte es den Steinbruchbesitzern. "Mein Schwager hat das Stück Felsen irgendwann einfach weggehauen", sagt Molitor. "Und dann war die Sache erledigt."

Tatsächlich ebbte die Flut der Pilger bald ab, und es kehrte wieder Ruhe ein in Bergweiler, die nun schon mehr als 27 Jahre währt. Zeit, in der nicht nur Gras über die Sache wuchs. Bäume und Sträucher versperren heute die Sicht auf die legendäre Felswand, Brombeeren und Brennnesseln den Zugang. Doch ein Dorfrundgang beweist: Vergessen ist die Geschichte nicht. Und so mancher stellt sich die Frage: Was wäre wohl passiert, wenn noch heute im Schein einer Taschenlampe die leuchtende Jungfrau erschiene?

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