Wann kommen Männer, Väter, Söhne heim?

BINSFELD. (red) Am 13. April vor genau 60 Jahren fiel der Vater von Valerius Walter im Zweiten Weltkrieg. Seine Familie erlebte das Kriegsende währenddessen in Binsfeld. Valerius Walter berichtet als Zeitzeuge vom Kriegsende.

Wir waren von Anfang März bis zum 7. März 1945 im Hause Trierweiler im Gewölbekeller. Als ehemaliges Bürgermeister-Domizil war dieser gut ausgebaut. Auf Kartoffeln und Pritschen waren Stroh, Decken und leichte Matratzen gelegt. Für uns Kinder war es äußerst beengt. Ab und an schauten versprengte Soldaten vorbei oder ruhten sich aus. Sie brachten uns den Lagebericht mit. Die Frauen und auch wir Kinder beteten um Beistand. Der Beschuss wurde immer heftiger. In den ruhigen Abschnitten wurde schnell alles im leeren Haus erledigt. Dann die ersten Toten. Auf dem Aulend ein Volltreffer in den Keller von Passen Hanni. Eine Frau und ein Kleinkind waren tot. Der Kirchturm war das Angriffsziel von Speicher aus. Ein Drittel des Turms wurde weggeschossen. Der 14-jährige Heinrich Faber ließ beim Hause Schlösser sein Leben. Ein Granatsplitter zerfetzte seinen Rücken. Im Lazarett in Landscheid starb er. Waren es vorher Tiefflieger, die angegriffen hatten, waren es nun Mörsergranaten. In der größten Not erteilte Pastor Schmitz vom Pfarrhauseingang allen Seelen die Absolution. Auch sonst spendete er viel Trost. Auf dem Friedhof ruhten Reihen von Soldaten, die in der Schule ihren Verletzungen erlegen waren. Dort war ein Lazarett eingerichtet worden. Am 7. März begann wieder starker Beschuss. Soldaten sah man immer weniger. In der untersten Wiese liefen Artilleriepferde, die sich in der Kaas und Bitsches Kaul vorher in Stellung befanden. Hier waren viele Einschläge. Viele Pferde waren tot oder schwer verwundet. Ein paar Bauern nahmen sich der armen Kreaturen an und führten sie in Ställe. Alles unter großer Gefahr. Nun brannten im Überdorf das Haus Kisgen und andere. Dann der Ruf: "Flieger sind im Anflug auf Binsfeld." Dazu kam es nicht. Gegen halb zehn klopfte es an der Kellertüre. Soldaten waren keine mehr bei uns, so öffneten die Frauen die Türe. Wir gingen hoch. Noch heute übermannt mich die Erinnerung. Mein kleiner Bruder Ewald, fünf Jahre alt, hob die Hände hoch - wie wir alle. Ein Amerikaner - ich glaube, er weinte - drückte die Arme von meinem Bruder und mir runter. Nun ging alles sehr schnell. Erneut kamen Flieger, zwischen Niederkail und Binsfeld gab es schwere Kämpfe. Wir mussten alle mit ein paar Habseligkeiten durch das zerstörte und brennende Überdorf auf die "Hipp". Im Bierkeller und überall wurden wir bewacht. Wir Kinder waren draußen. Ich sehe heute noch vor Augen, wie zwei deutsche Soldaten in der untersten Wiese über den Bach sprangen und erschossen wurden. Heute ruhen sie auf dem Soldatenfriedhof in Himmerod. Am Abend gingen unter Bewachung alte Männer und Frauen das Vieh versorgen. Die Milch, die dann ausgeschenkt wurde, schmecke ich noch heute. Am anderen Tag konnten wir wieder heim. Aber ojeh: Das Bettzeug (wir hatten zwei Zimmer und wohnten zur Miete) war total versaut. Das Fensterglas war zerbrochen, es gab kein Wasser. Notdürftig wurden die Fenster geflickt. Wasser musste von der Sodel in Eimern und Kannen heimgeholt werden. Glücklich, wer einen Pütz in der Nähe hatte. Die Frauen hatten die Last zu tragen. Wir junge Menschen erlebten alles genau mit. Dann der Kummer mit den Kindern. Überall lag Munition. Zwischen Herforst und Binsfeld und weiter bis Spang befand sich Stapel an Stapel. Auf dem Bahnhof verloren Gunter Ewerz und Werner Weber ihr junges Leben, als sie an einer Flak hantierten. Menschen liefen auf Minen. Felder mit reifem Roggen oder Weizen wurden mit der Sicher von unerschrockenen Männern geerntet. Die Fragen waren immer wieder: Wann kommen die Männer, Väter und Söhne heim? Wann kommt die erste Post? Kommt überhaupt ein Lebenszeichen? Mein Vater fiel noch am 13. April 1945 in der Nähe von Nürnberg durch Tiefflieger. Er hatte den Rußlandfeldzug bis zur Krim unbeschadet überstanden und kam von der Krim ins Heimlazarett Regensburg. Auf Initiative meiner Mutter wurde er im Sommer 1944 ins Krankenhaus Bitburg verlegt. Hier hatten wir ihn noch bis in den November hinein besucht. Dann kam er wieder nach Regensburg in den Einsatz. Er fiel mit 36 Jahren. Das Kriegsende in Binsfeld werde ich wohl ein Leben lang in Erinnerung behalten. Heute wage ich zu behaupten, dass diese Ereignisse mich wesentlich geprägt haben. Der Autor, Valerius Walter, ist gelernter Malermeister. Er lebt bis heute in Binsfeld.

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