Interview Pater Stephan Reimund Senge Was wir von einem Mönch in der Krise lernen können

Himmerod · Warum der Himmeroder Pater Stephan Senge in der Corona-Zeit auch eine Chance sieht, zu Gott zu finden. Und seine Tipps, um mit dem Alleinsein fertig zu werden.

Der Ausbruch des Corona-Virus und die verordnete Kontaktsperre haben das Leben in den vergangenen Wochen grundlegend verändert. Treffen mit Freunden fallen flach, die Großmutter im Seniorenheim besuchen, geht nicht mehr. Und wer im Homeoffice arbeitet, sieht nicht mal mehr die Kollegen. Viele Menschen müssen nun also mit einem neuen Gefühl zurechtkommen: der Einsamkeit.

Einer, der mit dem Alleinsein schon eine Weile länger vertraut ist, ist Pater Stephan Reimund Senge. Seit mehr als 60 Jahren lebt der Ordenspriester in der Abtei Himmerod. Der 86-Jährige ist als letzter Mönch dort geblieben, als die anderen Zisterzienser gingen. Was wir von ihm in dieser schweren Zeit lernen können? Ein Interview:

Pater Senge, als Mönch kennen Sie sich aus mit dem Alleinsein ...

Senge: Ja, seit mehr als 60 Jahren lebe ich im Kloster. Ganz allein bin ich dort aber auch nicht, sondern in Gesellschaft einer kleinen Gruppe. Da gab es natürlich immer leeren Raum zu füllen. Ich versuche aber seit Jahren, den Kontakt zu den Menschen draußen zu halten, sei es zu den Besuchern in Himmerod oder zu den Kinder in den Schulen im Südsudan, wo ich seit Jahren Entwicklungshilfe leiste.

Nun wird es aber wohl nicht leicht werden, diese Kontakte in Zeiten von Corona aufrecht zu erhalten. Wie verbringen Sie die Zeit?

Senge: Mir wird so schnell nicht langweilig. Ich schreibe gerade an einem neuen Buch. Und auch, wenn das persönlich derzeit nicht möglich ist, versuche ich für die Menschen da zu sein — ob am Telefon, oder per E-Mail. Es wenden sich ja auch jetzt, wo Meditationswanderungen und Gottesdienste ausfallen, immer noch sehr viele Menschen an uns. Gerade viele, die in diesen Zeiten unter Einsamkeit leiden.

Was können Sie denen denn raten in der Krise?

Senge: Einfach nur den Fernseher anzumachen, wird nicht reichen. Was mir in diesen Zeiten hilft, ist Lesen, Schreiben, Radio hören und auch Beten. Das ist ja eine Form des Gesprächs. Auch wenn man das Gegenüber vielleicht nur erspüren oder erahnen kann, und man nicht sofort eine Antwort erhält, hilft das, den Horizont zu erweitern.

Kann die Corona-Zeit auf diese Weise auch zur Chance werden, Menschen vielleicht auch neue Wege zu Gott eröffnen?

Senge: Ja, darin liegt auch eine Chance. Erstmal für jeden persönlich, der Hektik und dem Management von oben zu entfliehen. Zeit zu finden, sich runterzufahren, nachzudenken, in sich selbst hineinzuhören. Und dann steckt in der Krise die Chance, dass die Menschen durch ihr Handeln mehr zu Gott finden. Der lehrt uns doch, dass wir aufeinander aufpassen sollen, den Nächsten lieben sollen, wie uns selbst. Und das wird in den Krisenzeiten auch sichtbar: Es ist unglaublich, wie viele Menschen derzeit Hilfsangebote für Ältere und Schwächere auf den Weg bringen. Darin spiegelt sich ein Verständnis des Evangeliums wider.

Die Kirche hat es hingegen schwer. Gottesdienste müssen ausfallen. Wie können Menschen in dieser Zeit ihren Glauben leben — über Livestreams? Ist so etwas auch in Himmerod geplant?

Senge: Ich finde es gut, wenn die Pfarreien die Medien nutzen, um die Menschen zu erreichen. Das geschieht aber derzeit auf so vielen Kanälen, dass wir uns in Himmerod nicht unbedingt auch noch daran beteiligen müssen. Wir hoffen einfach, dass diese Krise so schnell wie möglich vorbeizieht. Und wir bald wieder Besucher empfangen können.

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