Wegsperren war gestern

TRIER/BITBURG/WITTLICH. Früher wurden sie einfach weggesperrt. Heute sind psychisch Kranke präsent. Nicht nur, weil ihre Zahl ständig steigt. Seit vor zehn Jahren in Rheinland-Pfalz ein neues Psychiatrie-Gesetz in Kraft trat, hat sich der Blick auf solche Krankheitsbilder und der Umgang mit den Patienten auch in der Region geändert.

Die bedrückenden Bilder aus ihrer Ausbildungszeit schwirren immer noch durch Beatrix Rischs Kopf. "Wenn man in die Psychiatrie kam, krachte die Tür hinter einem ins Schloss, und man bekam eine Gänsehaut", erzählt die Chefärztin der psychiatrischen Abteilung des Trierer Mutterhauses. Gut zehn Jahre später hat die Psychiatrie viel vom Schauder, von der Isolierung und der Stigmatisierung früherer Jahre abgelegt. "Gemeindenahe Psychiatrie" und "Psychiatrie der offenen Tür" lauten die Schlagworte, die Patienten ein Leben ermöglichen, das so normal wie eben möglich ist. Vor zehn Jahren wurden diese neuen Ansätze in der Psychiatrie in Rheinland-Pfalz in gesetzliche Formen gegossen. Eins der wichtigsten Ziele des "Landesgesetzes für psychisch kranke Menschen" war die Normalisierung dieser Erkrankungen. Statt die Patienten weiter in riesige Fachkliniken zu schicken, wurden an Allgemein-Krankenhäusern Psychiatrische Abteilungen eingerichtet. Damit mussten beispielsweise kranke Trierer nicht länger nach Wittlich oder gar Andernach, sondern konnten vor Ort therapiert werden. Besuche von Familie und Freunden waren einfacher, soziale Kontakte konnten gepflegt werden. Neben Trier und Wittlich ist in der Region auch Gerolstein eine Anlaufstelle für psychisch kranke Menschen. Stationäre Betten wurden zugunsten teilstationärer Angebote wie Tageskliniken abgebaut, ambulante Angebote bei Trägern wie dem Trierer Rafaelshaus oder dem Schönfelder Hof in der Eifel geschaffen. Und in vielen psychiatrischen Abteilungen öffnete man die Türen - zum Beispiel in Trier. Die Flure dort sind heute Aufenthaltsräume, in denen Pflegekräfte sitzen. Sie verbarrikadieren sich nicht vor den - unverschlossenen - Türen, sondern sitzen in lockerer Runde mit den Patienten zusammen und haben gelernt, drohende Eskalationen frühzeitig zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern. "Die Fluchtereignisse haben nicht zugenommen", berichtet Risch. Die Aggressionen seien im Gegenzug deutlich zurückgegangen. "Es herrscht einfach eine ganz andere Atmosphäre." Dazu trägt auch eine Mischung der Geschlechter und Krankheitsbilder bei. Wie viel sich verändert hat, macht der Trierer Franz-Josef Wagner deutlich. Er engagiert sich im Landesverband der Psychiatrie-Erfahrenen, der demnächst sein zehnjähriges Bestehen feiert. "1995 war es noch nötig, Besuchsrecht, Telefongespräche und Schriftwechsel gesetzlich zu regeln", erzählt Wagner. "Heute ist das völlig unproblematisch." 20 Patienten in einem Saal, keinerlei Intimsphäre, einmal pro Woche Arztvisite - so schildert Risch die Zustände in vielen Psychiatrien vor der Reform. Dem stehen heute individuelle Behandlungsprogramme gegenüber, die mit den Patienten abgestimmt werden. "Wir sind erst am Anfang"

Die Liegezeit in Trier beträgt derzeit zwischen 17 und 18 Tagen - einer der niedrigsten Werte in Deutschland, wie Risch sagt. Stolz ist sie darauf nur bedingt. Die begrenzte Kapazität von 70 Betten bei gleichzeitiger Aufnahmepflicht führt nämlich zu Zeitdruck - und dazu, dass sich die Patienten bisweilen überfordert fühlen. Oder dass sie auf dem Flur liegen müssen. Risch hofft, dass beim Umzug ihrer Abteilung vom Herz-Jesu-Krankenhaus im Sommer auf das Gelände des Mutterhauses die geplante Aufstockung auf 80 Betten kommt. Auch für Franz-Josef Wagner bleiben trotz der Fortschritte in den vergangenen zehn Jahren Wünsche offen. Die Entwicklung müsse noch stärker weg von der stationären und hin zur ambulanten Pflege gehen, fordert er. Und auch in punkto Stigmatisierung liege immer noch vieles im Argen. Wagner berichtet von Vorbehalten und Anfeindungen. "Wir sind erst am Anfang." Weitere Informationen zum Landesverband der Psychiatrie-Erfahrenen gibt es im Internet unter www.lvpe-rlp.de.

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