Wenn das ganze Dorf in eine gute Stube passt

Burg · Sieben Häuser, 20 Einwohner, ein eigenständiges Dorf: Burg ist nicht nur eine der kleinsten Gemeinden im Eifelkreis Bitburg-Prüm, sondern in ganz Deutschland. Der TV hat den Ort in der Verbandsgemeinde Neuerburg besucht und nachgefragt: Wie lebt es sich in einer Kleinstgemeinde?

 Idyllisch zwischen Wald und Wiesen liegt die Ortsgemeinde Burg, die zu den kleinsten Dörfern ganz Deutschlands zählt. TV-Foto: Nina Ebner

Idyllisch zwischen Wald und Wiesen liegt die Ortsgemeinde Burg, die zu den kleinsten Dörfern ganz Deutschlands zählt. TV-Foto: Nina Ebner

Burg. Als Christian vor fast zwölf Jahren geboren wurde, feierte das ganze Dorf: Mehr als ein Jahrzehnt lang war in Burg (Verbandsgemeinde Neuerburg) kein Kind mehr zur Welt gekommen. Es wurde also höchste Zeit, dass der Ort endlich wieder Nachwuchs bekam.
Doch obwohl Christian mittlerweile zwei Geschwister hat - den achtjährigen Michael und die zehnjährige Annika - lässt sich der demografische Wandel auch in der Gemeinde Burg gut beobachten, sagt Ingrid Billen, seit 1999 Ortsbürgermeisterin: "Die Kinder ziehen nach ihrer Ausbildung oder für ihre Ausbildung beziehungsweise ihr Studium in andere Städte und kommen meist nicht wieder zurück."
Und so zählt die Gemeinde - deren Name übrigens nicht der früheren Existenz einer Ritterburg geschuldet ist, sondern ihrer Lage auf einem kleinen Berg oberhalb von Mettendorf - heute nur noch 20 Einwohner. Dabei waren es vor 25 Jahren noch doppelt so viele.
Die Anzahl der Häuser allerdings habe sich im Laufe der Jahre nicht geändert, betont die Ortschefin: "In Burg gab es schon immer sieben Häuser - nur waren sie früher voller."
Allerdings steht auch keines leer - der Nähe zu Luxemburg sei Dank. Insgesamt vier Luxemburger leben in Burg. Eine davon ist Antoine Laschette, seit März 2010 "Burgerin". Aus Überzeugung. Lange habe sie mit ihrem Mann nach einem Grundstück mit Land gesucht, in Burg wurde man nicht nur fündig, sondern sogar heimisch. "So einen kleinen Ort zu finden, in dem die Dorfgemeinschaft noch so gut ist, das ist ein Glücksfall", sagt sie.
Überhaupt die Dorfgemeinschaft: Nicht nur Laschette schwärmt in den höchsten Tönen von dem Zusammenhalt im Ort. Da stehen schon einmal die Nachbarn mit einem Schampus spontan vor der Tür, wenn ein runder Geburtstag ansteht. Da schwingt Rolf Rippinger als künftiger Bräutigam vor der Messe schon einmal selbst den Pinsel, um die kleine, meist ungenutzte Kapelle aus dem Jahr 1911 in neuem Glanz erstrahlen zu lassen.
Und da trifft sich das ganze Dorf in der guten Stube der Ortsbürgermeisterin, um den Landrat im Ort willkommen zu heißen, oder auf einer Bank oberhalb der Gemeinde, um gemeinsam zu grillen.
"So klein das Dorf auch ist, bei den Festen kommen alle zusammen", sagt Christa Schares, Mutter von Michael, Christian und Annika - den einzigen Kindern im Ort. Auch sie schätzt den Zusammenhalt unter den Einwohnern: "Jeder kennt jeden - für die Kinder ist das toll." Diese könnten sich in Burg frei bewegen und entfalten.
Und so wollen die meisten Burger nicht mehr weg aus Burg: "Einmal Burger, immer Burger", lautet nicht nur bei Alfons Schmitt das Motto. Auch Theo Wolter, mit 79 Jahren der älteste Burger, ist überzeugt: "Ich gehe nie ins Altersheim, ich bleibe bis zum Schluss in Burg."
Die gute Nachbarschaft und das große Engagement der Burger für ihren Ort - Ortsbürgermeisterin Billen sieht darin einen "Vorteil zu eher anonymisierten großen Ortschaften". Statistisch gesehen engagiert sich in Burg jeder dritte Einwohner im Gemeinderat. "Wir möchten uns unsere Eigenständigkeit bewahren", betont die 55-Jährige, "nur so haben wir die größten Entscheidungsmöglichkeiten innerhalb der Gemeinde."
Und doch - Eigenständigkeit hin oder her: Natürlich hat das Leben in einem Mini-Ort wie Burg auch Nachteile. "Die Leute sind aufs Auto angewiesen, gerade mit drei Kindern muss man immer fahren", sagt Christa Schares. Und selbst wenn sich ihre drei Kinder in Burg pudelwohl fühlen - ein bisschen was fehlt natürlich trotzdem: "Freunde", sagt Annika. Ihr Bruder Michael ergänzt: "McDonald\'s."
Das Statistische Bundesamt hat im Jahr 2010 eine Liste der 100 kleinsten Gemeinden Deutschlands aufgestellt (Einwohnerstand: 31. Dezember 2009). Diese verteilen sich auf drei Bundesländer: Rheinland-Pfalz (70), Schleswig-Holstein (26) und Thüringen (4). Damit liegen insgesamt 96 der 100 kleinsten Gemeinden Deutschlands in Rheinland-Pfalz - hier vor allem in der Eifel - und in Schleswig-Holstein. Unter den zehn kleinsten Gemeinden Deutschlands finden sich gleich fünf Orte aus dem Eifelkreis Bitburg-Prüm: Ammeldingen an der Our (11), Hisel (14), Gemünd (16), Burg (19), Keppeshausen (21) und Etteldorf (22). Insgesamt hat etwa die Hälfte der Gemeinden im Eifelkreis unter 100 Einwohner.nebStreit:

 Joachim Streit. TV-Foto: Friedemann Vetter

Joachim Streit. TV-Foto: Friedemann Vetter

Herr Landrat, haben Kleinstgemeinden in Ihren Augen überhaupt eine Zukunft? Streit: Grundsätzlich ja. Aber wenn der Gemeindehaushalt nicht ausgeglichen werden kann und das Land keinen neuen Finanzausgleich schafft, werden sich die Bewohner der Kleinstgemeinden die Selbstständigkeit nur durch enorme Erhöhung der eigenen Grundsteuern leisten können. Die Bevölkerung im Eifelkreis schrumpft - damit wird auch die Zahl der kleinen Orte immer größer werden. Welche Probleme beziehungsweise Herausforderungen stellen sich dadurch? Streit: Wir haben im Eifelkreis seit 30 Jahren so viele kleine Gemeinden wie in keinem anderen Landkreis. Ein Problem sehe ich hier nicht, nur weil es mehr werden. Die Herausforderungen liegen in der umgebenden Infrastruktur: Busverkehr, Ärzteversorgung, Rettungsdienst, Kindertagesstättenangebot für Erwerbstätige. Sie haben zuletzt 30 "Mini-Gemeinden" im Kreis besucht und mit ihren Einwohnern gesprochen. Welche Eindrücke haben Sie dadurch gewonnen, welche Vorteile hat das Leben in einer Kleinstgemeinde? Streit: Kleinstgemeinde ist ein Stück heile Welt, weil die Themen Gewaltstraftaten, Migration und Integration keine Rolle spielen. Darüber hinaus stimmt die Sozialkontrolle im Dorf: Man geht mit dem Gemeindeeigentum so um wie mit den eigenen Sachen. Soweit Baugrund vorhanden, ist dieser natürlich viel preiswerter als in einer großen Gemeinde oder Stadt. neb

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