Wenn der erste Kuss vom Vater ist: Fortsetzung im Eifeler Missbrauchsprozess

Trier/Eifel · Auch der dritte Sohn belastet seinen Vater schwer. Jahrelang habe dieser ihn missbraucht. Vor Gericht sagt er dennoch, dass er ihm verzeihe.

 TV-Foto: Friedemann Vetter

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"Ich bin froh, dass es dich gibt", sagt der älteste Sohn zu seinem Vater, dem Angeklagten. Vor etwa 20 Jahren soll er ihn mehrfach sexuell missbraucht haben. Und lange habe der junge Mann ihn dafür gehasst. Doch nun verzeihe er ihm, sagt er. Über das Gesicht des 67-Jährigen huscht ein Lächeln. Dann blickt er wieder auf den Tisch.
Der 32-jährige Sohn spricht mit sanfter, ruhiger Stimme - keine Spur von Wut: "Da war nichts Böses, kein Zwingen." Der Angeklagte sei "liebevoll" gewesen. Sein Vater sei der Erste, der ihn berührt, der Erste, der ihn geküsst habe, erzählt er. Ähnliches hatten seine beiden Brüder ausgesagt.
Es ist der zweite Verhandlungstag im Prozess um schweren Kindesmissbrauch in 87 Fällen am Trierer Landgericht (der TV berichtete).
Die Anklage: Ein Vater soll sich an seinen Söhnen und seiner Tochter vergangen haben. Erst jetzt landet der Fall vor Gericht. Wie es dazu kam?

Ein erster Hilferuf? "Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass etwas mit den Kindern nicht stimmt", sagt die 45-Jährige Zeugin. Der älteste Sohn - für sie ein aufrichtiger, ehrlicher Nachbarsjunge und "so etwas wie ein kleiner Bruder" - habe sich ihr irgendwann anvertraut. "Einzelheiten hat er nicht erzählt", sagt sie, die habe sie auch nicht wissen wollen. Jedenfalls, hätten sie und ihre Mutter, die auch vor Gericht aussagt, ihm dann geraten sich beim Jugendamt Hilfe zu holen.
Es muss um das Jahr 2003 gewesen sein, als drei der Geschwister bei der Bitburger Behörde vor der Tür standen. Sie hätten dort vom Missbrauch erzählt, sagt der Sohn: "Aber niemand hat uns geglaubt." Der Fall findet sich auch später in keiner Akte.
Nur eine Telefonnotiz erinnert heute daran, dass die Kinder überhaupt da waren. Da steht: Der Mitarbeiterin sei die ganze Sache "spanisch vorgekommen". Sie habe demnach nichts unternommen. Vor Gericht bestreitet ebendiese Beamtin, die Kinder überhaupt getroffen zu haben. Auf die Fragen des Richters Armin Hardt antwortet sie mehrfach mit: "Ich kann mich nicht erinnern."
Das Gespräch blieb also folgenlos, der Missbrauch ging weiter. Jedenfalls wenn man den Ausssagen der heute erwachsenen Kinder glaubt.

Die Anzeige: Der Angeklagte lächelt, während seine Lebensgefährtin im Zeugenstand aussagt. Als sie von der Anzeige erfuhr, habe sie das "wie eine Bombe getroffen", sagt sie - die Hände auf den Knien, Brille auf der Nase. Auch heute könne sie sich nicht vorstellen, dass ihr Freund so etwas getan haben soll. Dabei war es offenbar gerade ihre soziale Ader, die dazu geführt hatte, dass die Kinder zur Polizei gingen - zumindest indirekt.
Seit Jahren schon nimmt die 67-Jährige Pflegekinder aus Tschernobyl in ihrem Zuhause auf. Sie will ihnen - so sagt sie - ein paar schöne Ferienwochen in der Eifel schenken. Nun plante sie erneut ein Kind aus der Ukraine in ihrem Zuhause unterzubringen. Davon hätten die Kinder ihres Lebensgefährten erfahren - und auch die Ehefrau des jüngsten Sohnes. Bei einem Gespräch mit den Geschwistern hätten diese gesagt: "ihr Vater wäre jetzt alt und würde sowas sowieso nicht mehr tun". Mit "sowas" meint sie den Missbrauch.
Aber die 36-Jährige, selbst Mutter von vier Kindern, wollte die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Sie drängt - nach eigener Aussage - ihren Mann und seine Geschwister dazu, Anzeige zu erstatten. "Die hätten das sonst nie gemacht", meint sie. Jahrelang habe ihr Mann ja überhaupt nicht über den Missbrauch gesprochen: "Erfahren habe ich das erst von seinem Bruder an meiner eigenen Hochzeit", sagt sie.

Ein fünftes Opfer? In der Anklageschrift taucht sie nicht auf, die damals beste Freundin der Tochter des Angeklagten. "Er hat sich zu uns ins Bett gelegt und mich an der Schulter gestreichelt", sagt sie vor Gericht über einen Abend, an dem sie bei ihrer Freundin übernachtet haben soll. An mehr will sie sich nicht erinnern können - obwohl Richter Armin Hardt mehrfach nachhakt: "Vielleicht habe ich das verdrängt", sagt die 30 Jährige mit zittriger Stimme. Auch sie soll der 67-Jährige missbraucht haben - das hat jedenfalls seine Tochter bei der Polizei ausgesagt. Vor Gericht will diese nicht erscheinen, um Licht in dieses Dunkel zu bringen. Auch die Vernehmung ihrer Freundin führt zu keinem Ergebnis.
Die Hauptverhandlung wird am Mittwoch, 5. Juli, fortgesetzt. Dort werden Ermittler der Polizei und eine Richterin aussagen. Einen Kurztermin gibt es am Montag, 19. Juni, für Formalitäten.

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