"Wir brauchen jedes Kind, wir brauchen jedes Talent"

Prüm · Kein "Weiter so", stattdessen eine "völlig neue Gesellschaft entwickeln": Im Vortrag humorvoll, in der Sache mehr als deutlich hat der Journalist Winfried Kösters beim 22. Prümer Neujahrsgespräch die Herausforderungen durch den demografischen Wandel geschildert.

Prüm. "Die Zukunft ist nicht mehr die Fortsetzung der Vergangenheit. Das funktioniert nicht mehr": Gleich mehrfach wiederholt der Journalist und Buchautor Winfried Kösters seine Kernthese. Beim 22. Prümer Neujahrsgepräch versucht er - humorvoll und mit vollem Körpereinsatz -, das Bewusstsein für den demografischen Wandel zu schaffen. Sein Publikum ist wie in jedem Jahr beim Neujahrsgespräch prominent besetzt mit allem, was im Eifelkreis und der Nachbarschaft Rang und Namen hat, von Bundestagsabgeordneten bis zu Bankvorständen.
Letzteren gibt Kösters jede Menge Beispiele dafür, was derzeit noch falsch läuft. Etwa dass immer noch über die Rente mit 67 diskutiert werde, obwohl es die Rente eigentlich erst mit 70 geben dürfte, weil die Bürger immer älter werden und die Leistungen länger beziehen.
Alte Denkmuster verändern


Aber es gibt auch Beispiele im Kleinen, etwa wenn gerade in Trier neues Kopfsteinpflaster verlegt werde. Das sei eine reine Holperstrecke für ältere Menschen, die mit dem Rollator unterwegs seien. Besser seien glatte Beläge - "Rollator-Skateflächen", wie er sie nennt. Zu viele Verwaltungen und Planer hingen noch in alten Denkmustern aus der Vergangenheit. Gleiches gelte für Wohnungsmodernisierungen, die keine Barrierefreiheit erreichen, damit die Räume auch von älteren Menschen genutzt werden können. Aktuell seien erst rund drei Prozent aller Wohnungen seniorengerecht - und das bei einem immens wachsenden Bedarf. Oder die Pflege: Um den geschätzten Bedarf an Pflegekräften in Zukunft zu decken, müssten künftig 25 Prozent aller Schulabgänger einen solchen Beruf ergreifen - "völlig illusorisch".
Kurzum, sagt Kösters, der demografische Wandel sei eine immense Herausforderung: "Wir müssen eine völlig neue Gesellschaft erschaffen." Alte Denkmuster seien nicht mehr zeitgemäß. Die Frage sei nun, wie man diese Gesellschaft, die immer älter, weniger und bunter werde, neu gestalte.
Wer schiebt die Rollstühle?


Doch Geheimrezepte, wie sich diese immensen Herausforderungen bewältigen lassen, hat auch Kösters nicht. Die Gesellschaft brauche mehr Zuwanderung und mehr Kinder, um die Folgen des nicht mehr umkehrbaren Wandels der Gesellschaft zumindest abzumildern. "Wir brauchen jedes Kind, wir brauchen jedes Talent." Es sei nun einmal die Frage, wer später die Rollstühle schiebe und die Renten erwirtschafte. Viel zu lange habe man auch die Augen davor verschlossen, dass man Zuwanderung brauche und eine aktive Integrationspolitik betreiben müsse. "Ein ,Weiter so\' funktioniert nicht mehr."
Auch wenn der demografische Wandel für das Prümer Land eine große Herausforderung sei, sieht Aloysius Söhngen, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Prüm und Gastgeber des Neujahrsgesprächs, die Region in seiner Begrüßung gerüstet. Die wirtschaftliche Entwicklung habe zum "besten Steuerjahr jemals" geführt, die Arbeitslosigkeit sei seit Jahrzehnten sehr gering. "Wer hier arbeiten will, findet einen qualifizierten Arbeitsplatz", sagt Söhngen. Wichtigstes Pfund des Prümer Landes sei die große Bereitschaft, sich ehrenamtlich zu engagieren.Extra

Winfried Kösters, Jahrgang 1961, stammt aus Rheine in Nordrhein-Westfalen. Nach einem Studium der Politik, Geschichte und Publizistik arbeitete er beim ZDF in der Redaktion des Heute-Journals. Seit 1995 ist er selbstständig, veröffentlicht in Fachzeitschriften, schreibt Bücher und hält Vorträge. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit dem demografischen Wandel. Darüber hat er unter anderem das Buch "Weniger, bunter, älter - wie der demografische Wandel Deutschland verändert" geschrieben. ch

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort