"Wir sitzen alle im sinkenden Boot"

Vor dem Werk der Milchunion Hocheifel (Muh) in Pronsfeld haben am Donnerstagabend rund 500 Bauern gegen die niedrigen Milchpreise und eine weitere Erhöhung der Milchquote demonstriert. Sie forderten eine Anpassung des Angebots an die Nachfrage und einen Milchkrisengipfel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Pronsfeld. Die Situation, wie sie Oliver Grommes, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM), schildert, ist dramatisch: "Mehr als 60 Prozent der Betriebe werden in den nächsten zwölf Monaten zur Aufgabe gezwungen sein, wenn sich nichts ändert. 80 Prozent sehen ihre wirtschaftliche Existenz massiv gefährdet." Es sei zuviel Milch auf dem Markt, für die es keine Nachfrage gebe. Daher müsse das Angebot reduziert werden. "Eine flexible Steuerung ist notwendig", sagte Grommes. Ansonsten seien mehrere tausend Arbeitsplätze gefährdet - mit massiven Auswirkungen auf die ländlichen Regionen. Derzeit liegt der Milchpreis bei 24 Cent pro Kilogramm Milch, die Bauern fordern mindestens 40 Cent, um kostendeckend arbeiten zu können.

Große Bedeutung der Milchwirtschaft



Auch Aloysius Söhngen, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Prüm, hob die Bedeutung der Milchwirtschaft für das Prümer Land hervor. Die derzeitigen Milchpreise seien für viele eine große Bedrohung, daher seien Änderungen notwendig. Gleichzeitig betonte Söhngen aber auch, dass man sich den Gesetzen des Marktes nicht entziehen könne. "Wichtig ist, dass ein Dialog stattfindet, um eine gemeinsame Position zu finden", sagte Söhngen. Diese Position könne man dann gegenüber dem Bund und der EU vertreten, um die Zukunft der Milchwirtschaft zu sichern.

Angesichts der Situation äußerte Clementina Bonefass aus Scheitenkorb die Befürchtung, dass man bald nur noch "Sklave auf dem eigenen Hof" sei. Gerichtet an die Muh sagte sie: "Ein guter Hirte schert seine Schafe, aber er zieht ihnen nicht das Fell über die Ohren." Auch die Landwirtin Martina Streit schilderte ihre Situation. "Wir sitzen alle in einem sinkenden Boot", sagte Streit.

Muh-Geschäftsführer Rainer Sievers äußerte Verständnis für die Milchbauern. Er wisse, dass der derzeitige Preis nicht zufriedenstellend sei. "Aber wir müssen uns den Herausforderungen des Marktes stellen." Angesichts dessen zahle man den höchstmöglichen Preis. Die EU werde den Weg zur Liberalisierung des Marktes nicht umkehren, und darauf habe man keinen Einfluss, so Sievers. Gleichzeitig tue man alles, um einen guten Milchpreis zu erwirtschaften. Unter den protestierenden Bauern herrschte eine gedrückte Stimmung. "Der aktuelle Preis tut richtig weh. Auch die großen Betriebe werden das nicht ewig aushalten", sagte Michael Leuschen aus Dahnen. "Wir wollen einen kostendeckenden Preis, denn wir wollen für unsere Arbeit bezahlt werden und keine Sozialhilfe bekommen - und die Prämie ist für mich nichts anderes als Sozialhilfe", sagte Inge Mölter aus Sellerich.

"Wir zahlen im Moment drauf. Da muss was passieren, sonst gehen die Lichter aus", forderte Werner Koos aus Scheuern. Vor der Hochwald-Molkerei in Thalfang gingen die Proteste am Freitagabend weiter.

Meinung

Ein Problem, keine Lösung

Auf den ersten Blick scheint die Lösung klar: Es wird zu viel Milch produziert, das drückt die Preise. Wer nicht zu diesen Preisen produzieren kann, der bleibt auf der Strecke. So reduziert sich das Angebot auf natürliche Weise, und der Markt wird auf die harte Tour bereinigt. Das sind zumindest die Gesetze des freien Marktes. Doch wer an dieser Stelle das Nachdenken einstellt, denkt zu kurz. Man muss auch fragen, woher die Milch kommen wird, wenn die kleineren und mittelgroßen Betriebe kaputt gegangen sind. Überleben werden nur die Betriebe, die die Milchproduktion mit einem Höchstgrad an Effizienz geradezu industriell betreiben. Tierschutz? Nachhaltige Landwirtschaft? Das sind keine Größen bei dem Versuch, Kühe auf reine Milchproduktionswesen zu reduzieren, immer getrieben vom Kostendruck. Das kann nicht im Sinne der Verbraucher und auch nicht der Politik sein. Doch die Suche nach einer Lösung gestaltet sich schwierig. In Zeiten der Globalisierung, in der es kein Problem mehr ist, Milch bis nach Australien zu verschiffen, haben nationale Regierungen nur einen begrenzten Einfluss auf die freien Märkte. Außerdem müssen sich auch die heimischen Molkereien auf dem weltweiten Markt behaupten. Es kann nicht im Interesse der Landwirte sein, dass diese in der Region verwurzelten Unternehmen auf der Strecke bleiben, weil sie einen Milchpreis zahlen müssen, der sie im weltweiten Konkurrenzkampf chancenlos macht. Es bleibt zu hoffen, dass auf dem angekündigen Milchgipfel von den Experten eine Lösung gefunden wird, die auch schnell umzusetzen ist. Denn sonst löst sich das Problem leider von allein. c.brunker@volksfreund.de

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