Wurst oder Nicht-Wurst?
Binsfeld · Die Vegetarier sind Andreas Mittler nicht wurst. Der Metzger aus Binsfeld folgt einem Trend in der Industrie und hat mit seinen Mitarbeitern Wurstwaren hergestellt, die ohne Fleisch auskommen. Die Kunden reagieren überrascht - und Verbände sind gespannt auf den Erfolg.
Binsfeld. Schwein oder nicht Schwein? Das ist die Frage, die Niklas Meyer jetzt beantworten muss. Der 16-Jährige steht in seiner vertrauten Metzgerei in Binsfeld und nascht von zwei Kostproben, die ihm Metzger Andreas Mittler reicht. Eine Wiener- und eine Bratwurst. Welche ihm besser schmecke, will der Fleischer wissen. Nach kurzem Zögern entscheidet sich Meyer und zeigt mit dem Finger auf die Wiener. "Die da, weil sie etwas würziger schmeckt."
In dem Moment steht es bei der Umfrage 1:0 für die Wurst mit Fleisch. Dass Meyer von einer Bratwurst genascht hat, die ohne ein Gramm Fleisch auskommt, versetzt ihn dennoch ins Staunen. Er reißt die Augen und den Mund weit auf. "Das hätte ich jetzt nicht gedacht."
Andreas Mittler, dem der Laden gehört, ist froh, dass er einen Kunden überzeugt hat. Mit dem TV bietet der Metzger verschiedene Kostproben an, ohne vorher zu verraten, dass eine davon fleischfrei ist. "Wer davon nichts weiß, schmeckt eigentlich nie was raus", sagt er.
Nachtschichten für eine Idee
Mittler geht das Wagnis ein, Würste ohne Fleisch anzubieten - wie die Industrie, die Veggie-Produkte als großen Trend für sich entdeckt hat (siehe Hintergrund). Der Binsfelder will beweisen, dass ihm Vegetarier nicht wurst sind. Und auch andere Kunden lassen das Fleisch in der Theke inzwischen häufig liegen.
"Es gibt immer mehr Menschen, die weniger Fleisch essen, aber auf den Geschmack nicht verzichten wollen" sagt Mittler, der nun Waren mit und ohne Fleisch anbietet.
Alexander Zeitler, Geschäftsführer des Fleischerverbands Rheinland-Rheinhessen, bestätigt, dass bislang nur eine handverlesene Anzahl von Metzgern das Experiment mit fleischloser Wurst wage. Er ist sicher: "Es werden in Zukunft aber mehr sein." Was bislang stört: "Die Produktion ist ganz schön aufwendig." Das war Mittler wiederum wurst. Er entgegnet: "Es ist reizvoll, das hinzukriegen, was sonst nur die Industrie schafft."
Doch der Weg zur Wurst ohne Fleisch war nicht ohne. "Es hat Monate gedauert, bis wir wirklich zufrieden waren." Um 4 Uhr im Morgengrauen legten die Mitarbeiter mit der Arbeit los, wo sie sonst um 5 Uhr starteten. Sie desinfizierten die Maschinen so, dass die fleischlose Wurst wirklich nicht mit Fleisch in Kontakt kommt.
Streng geheime Mixtur
Das Ziel von Mittler: Gut sollte sie sein. Das heißt: "Sie muss gut aussehen, Biss haben - und natürlich schmecken." War sie mal zu rot, zu labbrig und zu salzig, ging es wieder von vorne los. Lange tüftelten die Mitarbeiter am Rezept für die richtige Wurst. Es zu verraten, da spielt Mittler nicht mit. Was er sagt, ist, dass Hühnereiweiß, pflanzliche Öle, Soja und ein Kunstdarm als Hülle eine wichtige Rolle spielen. Ansonsten gilt: Die Mixtur ist streng geheim! Psssst...
Mit den vegetarischen Würsten hofft der Metzger auf Erfolg. Stefan Tix, Obermeister der Fleischer-Innung Mosel-Eifel-Hunsrück, findet: "Es ist sinnvoll, als Fleischer in dieser Richtung tätig zu werden."
Alexander Zeitler betont, dass neue Bedürfnisse der Kunden sich immer auf Metzgereien ausgewirkt haben. "Irgendwann haben die Ladenbetreiber Mittagsgerichte angeboten, Käse, Salate - und nun eben die fleischfreie Wurst." Diese ordnet Zeitler mit einem Blick auf die Zukunft eher als Nischenprodukt ein. Die größere Nachfrage gelte dem herkömmlichen Fleisch.
Doch den Kunden schmeckt's auch fleischfrei. Eine Frau scherzt nach der Kostprobe: "Die drehe ich meinem Mann an." Sie meint die vegetarische Wurst. Jetzt steht's 1:1.
Und Mittler findet: "Für den Anfang ist das gar kein schlechtes Ergebnis."
Extra
Birgit Dietz aus Beilingen (Landkreis Bitburg-Prüm) schmeckt die vegetarische Wurst besser: "Ich bin ganz überrascht und habe keinen Unterschied gemerkt." Oliver Tiersch aus Binsfeld hat direkt erkannt, welches die vegetarische Wurst ist. "Ich esse selber verstärkt vegetarische Produkte. Seitdem habe ich 30 Kilo abgenommen. Es ist gut, wenn Metzger mit der Zeit gehen." Christine Niersbach aus Binsfeld denkt mit Schrecken an eine vegetarische Wurst, die nicht mal ihr Hund wollte. In Binsfeld fand sie Geschmack: "Die Wurst jubele ich meiner Familie unter." florExtra
In Deutschland ist in der Lebensmittelbranche ein echter Veggie-Boom entstanden. Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zeigt auf, dass die Industrie im Jahr 2014 durch Fleischersatzprodukte und pflanzliche Brotaufstriche einen Umsatz von 213 Millionen Euro verbuchte. 11,2 Millionen Menschen kauften die Produkte. Darunter seien nicht nur Vegetarier oder Veganer, sondern auch die so genannten Flexitarier, erklärt die GfK. Das sind Konsumenten, die nicht prinzipiell etwas gegen Fleisch haben, dieses aber seltener essen. Die Gründe für die Einschränkung können im Tierwohl, der eigenen Gesundheit oder dem Umweltschutz begründet liegen. flor
