Lesung Von der Folter in die Freiheit

Bitburg · Als erster Flüchtling hat Firas Alshater ein Buch auf Deutsch veröffentlicht. Bei seiner Lesung schockt er die Gäste, bringt sie zum Lachen und zeigt, warum er trotz Misshandlung in einem syrischen Gefängnis so positiv denkt.

 Bis in die letzte Reihe ist der kleine Saal der Bitburger Stadtbibliothek gefüllt bei Firas Alshaters Lesung.

Bis in die letzte Reihe ist der kleine Saal der Bitburger Stadtbibliothek gefüllt bei Firas Alshaters Lesung.

Foto: Nicolaj Meyer

Da steht ein bärtiger Mann auf dem Berliner Alexanderplatz, mit verbundenen Augen. Auf seiner Brust klebt ein Schild: „Ich bin syrischer Flüchtling. Ich vertraue dir – vertraust du mir? Umarme mich!“   Würden Sie einen Fremden umarmen? Firas Alshater (siehe Info) war dieser Flüchtling und das Video dazu machte ihn berühmt. Wie seine Aktion im Februar 2016 verlaufen ist, dazu später mehr, zunächst in die jüngste Vergangenheit.

Denn diese Woche war der syrische Flüchtling zu Gast in der Bitburger Stadtbibliothek und präsentierte dort sein Buch „Ich komm auf Deutschland zu: Ein Syrer über seine neue Heimat“. Alshater konfrontiert die 50 Gäste zunächst mit blutigen Bildern.  Da sind sterbende Kinder in Damaskus, getroffen von Bomben und zerstörte Stadtzentren. Er zeigt das in einem Video, das so privat ist, dass er es nicht ins Internet stellen möchte, auch wenn er damit sicherlich noch berühmter würde.

Der gelernte Schauspieler hat darin eine Szene gedreht, wie eine hübsche Frau wütend aus seinem Bett steigt. Warum er das zeigen möchte: Er wurde in einem syrischen Gefängnis über Monate mit Elektroschocks gequält und ist deshalb für Sex völlig blockiert. Nach dem medialen Trip in das Leid eines Flüchtlings folgt ein totaler Bruch im Programm. Während die Gäste noch dabei sind, die Bilder zu verarbeiten, bringt er sie immer wieder zum Lachen. Das gelingt mit Vergleichen der deutschen und der syrischen Kultur, etwa beim Thema Ausweis: „In Syrien wie in Deutschland sind die Polizisten gleich. Hast du kein Papier, dann bist du gar nicht hier. Und die deutschen lieben Papiere.“

Sein Humor schimmert tief schwarz, wenn er aus eigener Erfahrung Polizeiaufenthalte gegeneinander setzt: In einer syrischen Zelle höre man die Schreie aus Nachbarzellen, wegen der Folter. Hier kämen die Geräusche eher von einer Kaffee-Maschine. Wie kann jemand mit so viel Leid so lustig sein? Seine Antwort zeugt von Pragmatismus: „Es gibt nur zwei Tage in meinem Leben, die ich nicht ändern kann: Gestern und Heute“.

In weiteren Episoden schildert er, wie ein Flüchtling Tage auf dem Asylamt wartet, um jenes Asyl zu beantragen und am Ende dabei deutsche Dokumente unterschreibt, die er auf Grund der Sprachbarriere nicht versteht – oder was sein erster Eindruck in einem Berliner Flüchtlingsheim war. Da stand auf einem großen Schild: „Hier gibt es Krätze“ – so wenig Hygiene kannte er sonst nur aus syrischen Gefängnissen.

Wer jetzt glaubt, der Autor fühle sich in seiner neuen Heimat nicht wohl, liegt falsch: „Das ist für mich das erste Mal, dass ich Freiheit erlebe.“ Denn seine Meinung öffentlich kundtun, das brachte ihn in Syrien ins Gefängnis. In Deutschland belohnen ihn die Menschen mit zahlreichen Aufrufen auf YouTube für eben seine Meinung. Im sozialen Netzwerk ist er ein kleiner Star. Das sind YouTuber, die mit ihren Videos ein Massenpublikum in Größenordnungen von erfolgreichen Fernsehformaten erreichen. Firas meist geklicktes Video „Wer sind diese Deutschen?“ hat fast 900 000 Klicks.  Das entspricht ungefähr der Einschaltquote der 12-Uhr-Tagesschau. In den Videos engagiert er sich auf humorvolle Weise gegen Vorurteile und versucht, Deutsche und Einwanderer einander näher zu bringen.

Vorurteile sind so oft so unpassend, darüber kann Alshater auch bei der Lesung in der Stadtbibliothek lachen. Denn eigentlich gelten die Deutschen doch als pünktlich und als Meister der Ingenieurskunst, aber von wegen: „Erst kommt der Moderator vom DRK zu spät, so dass die Veranstaltung eine Viertelstunde später beginnt, dann geht das Licht während der Filmvorführung nicht aus.“ Nichts mit Kino-Effekt.

Nach seiner Mischung aus Comedy, Leseproben und Filmvorführung gibt es noch eine kleine Diskussionsrunde mit den Besuchern. Die startet mit Alltags-Fragen über das syrische Postsystem und wird dann politisch. „Politik, die hasse ich“, sagt Alshater. Die Vorsitzende des Roten Kreuzes, Monika Fink, schreitet ein: „Auch ich mache Gesellschafts-Politik und das ist wichtig.“

Alshater und sie kommen an dem Abend nicht mehr auf einen grünen Zweig. Er findet, ihre Arbeit sei keine Politik. Vielleicht darf man jemandem, der aus einem autoritären Staat stammt und für die Ausübung des freien Meinungsrechtes ins Gefängnis musste, nicht übel nehmen, wenn er mit dem Wort „Politik“ Negatives verbindet?

Er denkt bei Politikern hierzulande zuerst an die Waffenlobby, die durch den Krieg in Syrien ein Riesengeschäft mache. Gefühlt zu früh bricht Moderator Mario Pawlowski-Großmann (38) die Diskussion ab, beschwichtigt und bedankt sich für den tollen Abend. Die meisten gehen belustigt, aber auch ein Stück nachdenklicher nach Hause.

Und wie war das mit dem Umarmen in Berlin? Der Syrer musste damals einige Stunden in der Kälte warten, aber „dann hörten die Deutschen nicht mehr auf“, ihn zu umarmen – und das hofft er auch für die Flüchtlingsarbeit hierzulande.

Die Veranstaltung wurde organisiert vom Kreisverband des Roten Kreuzes Bitburg-Prüm – kostenlos und damit auch ein Dankeschön an die Arbeit der vielen Ehrenamtlichen im Kreis, gerade für diejenigen, die sich im Bereich Flucht, Migration und Integration in den letzten Jahren eingesetzt haben.

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