GASTBEITRAG „Das Schicksal entscheidet darüber, wer am Leben bleibt und wer nicht“

Zainab Rezai (17) ist vor knapp fünf Jahren als 13-Jährige mit ihrer Familie aus politischen Gründen aus Afghanistan geflohen. Daher betrachtet sie die Coronakrise aus einer besonderen Perspektive.

 Macht sich Gedanken über die Coronakrise: Zainab Rezai.

Macht sich Gedanken über die Coronakrise: Zainab Rezai.

Foto: TV/Alexandra Zender

Ich erlebe die aktuelle Situation als einen Kampf zwischen unschuldigen Menschen und einem unsichtbaren Feind. In den Ländern, in denen Krieg herrscht, gibt es immer einen konkreten Feind, der ein Land, ein Volk und dessen Leben zerstören will. Aber der Vorteil daran ist, dass das Volk seinen Feind kennt. Damit kann es sich zumindest auf Dauer verteidigen.

Das Coronavirus erinnert mich an die Zeit vor meiner Flucht aus meiner Heimat Afghanistan. Doch damals mussten meine Familie und ich uns aus politischen Gründen verstecken, damit keiner herausfindet, wo wir sind; denn wir sollten schon längst tot sein.

Die Angst war wie ein Gift, das wir mit uns getragen haben –  egal wo wir waren oder wohin wir geflohen sind. Es war kein Virus, das uns töten wollte, sondern es waren Menschen, die keine Menschlichkeit kannten. Das Virus an sich hat keine Menschlichkeit, es tötet genauso rücksichtslos jeden, der sich nicht (ab-)wehren kann, sonst würden nicht so viele Menschen daran sterben.

Es ist egal, wo ich hingehe oder in welcher Situation ich mich befinde: Die Erinnerungen an die politische Verfolgung und die Flucht sind immer bei mir. Wenn ich die jetzige Situation mit der damaligen vergleiche, fällt mir auf, dass das Coronavirus uns verfolgt. Dadurch spüren wir eine große Angst.

Ich habe Mitleid mit den Menschen, die als Risikopatienten besonders gefährdet sind oder ihre Lieblingsmenschen durch das Virus verloren haben. Es ist nicht einfach, wenn Menschen ihr Leben verlieren – genau wie im Krieg – und man dabei zusehen muss, wie die Lieblingsmenschen mit dem Tod ringen. Denn ein Terroranschlag ändert alles –  wie auch Covid-19 alles ändert.

Eine Sache ist mir auch klargeworden: Das Schicksal entscheidet darüber, wer am Leben bleibt und wer nicht. Damals hat meine Familie es geschafft, uns zu beschützen, indem sie die Entscheidung zur Flucht getroffen hat und wir aus unserer Heimat fortgehen mussten.

Das Coronavirus ist immer da, ganz gleich, ob wir uns vor ihm mit Gesichtsmasken, Handschuhen … (be-)schützen oder ob wir uns vor ihm „verstecken“, indem wir zuhause bleiben.

Mit den anstehenden Lockerungen wird uns die Angst, dass wir vielleicht die Nächsten sind, die von dem tödlichen Virus ergriffen werden, auch hier begleiten.

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