Zeit für Kinder in der Region - Hilfe für Familien im Alltag und bei der Erziehung

Bitburg · Wenn das Geld nicht reicht oder Eltern psychische Probleme haben: Seit 20 Jahren betreuen die Ökumenischen Jugendhilfestationen benachteiligte Familien und unterstützen sie im Alltag und bei der Erziehung.

Ein Mädchen und ein Junge decken den Tisch. "Oh, sogar mit Servietten!", sagt Christoph Schaal, Sozialpädagoge und Geschäftsführer der Ökumenischen Jugendhilfestationen, die am Freitag ihr 20-jähriges Bestehen feiern. Die Kinder stellen Geschirr fürs Mittagessen auf den Tisch, eine Betreuerin holt die anderen von der Schule ab. Bis sie zurück sind, vertreiben sich zwei Jungs die Zeit am Computer, zwei Mädchen spielen Kicker. "Man darf pusten, hat die Christina gesagt", erklärt die eine der anderen, wie man den kleinen Fußball wieder ins Rollen bringt.
Christina Otten ist Erzieherin in der Tagesgruppe in Bitburg. Gemeinsam mit ihren Kollegen betreut die 25-Jährige zehn Kinder aus benachteiligten Familien. Sie werden von der Schule abgeholt, essen gemeinsam, decken den Tisch und räumen ihn ab. "Wir versuchen, den Kindern Tischkultur zu vermitteln", sagt Schaal. Mittags machen sie gemeinsam Hausaufgaben - jeder hat seinen eigenen Schreibtisch -, spielen oder unternehmen etwas.

Und damit die Erziehungshilfe nicht in den Räumen der Tagesgruppe endet, werden die Eltern mit einbezogen. "Die kommen manchmal freitags dazu", sagt Schaal. Dann backen sie mit den Kindern Kuchen oder spielen mit ihnen, "damit sie einfach mal sehen: Was kann ich mit meinem Kind alles machen?", sagt Schaal, "die sollen sich ja mitentwickeln." Denn die Arbeit der Jugendhilfestationen sei Hilfe zur Selbsthilfe, sagt der Geschäftsführer. Sie versuchten, Familien in ihrer Autonomie zu stärken. "Alle, denen wir begegnen, haben schon viel versucht und sind gescheitert", sagt Schaal. Viele scheuten sich aber, Hilfe zu suchen. Verstehen kann er das, "wer geht schon gerne zum Jugendamt und sagt, ich brauche Hilfe"?

Es gibt viele Gründe, warum Familien Unterstützung brauchen: Wenn sie finanziell nicht über die Runden kommen - auffällig oft sind laut Schaal Alleinerziehende betroffen -, wenn Eltern psychische Probleme haben, oder wenn Frauen so jung Mutter werden, dass sie noch nicht reif genug sind, ihr Kind zu erziehen. Dann kommen die Jugendhilfestationen ins Spiel (siehe Info). Genauso verschieden wie die Probleme, sind die Hilfsangebote: Die Erzieher und Sozialpädagogen der Jugenhilfestationen fahren zu den Familien nach Hause und helfen ihnen im Alltag, sie versorgen Kinder in Tagesgruppen, bieten Unterstützung in Schulen und Kindergärten und vermitteln Pflege- oder Gastfamilien. Außerdem gibt es im Eifelkreis Bitburg-Prüm eine Familienhebamme, die Familien mit gesundheitlichen oder sozialen Problemen hilft. Im Juli 2016 wurde in Sankt Thomas das Haus Christophorus eröffnet, eine stationäre Wohngruppe für männliche Jugendliche.

Rund hundert Familien betreuen die Jugendhilfestationen im Jahr ambulant. "Wir schauen bei jeder Familie individuell, welche Möglichkeiten der Entwicklung sie hat", erklärt Schaal. Dabei sei wichtig, den Menschen mit Anstand und Respekt zu begegnen. Halbjährlich wird geprüft, ob die Hilfe noch die richtige für die Familie ist.

Manche Kinder blühten durch die Förderung richtig auf, sagt Schaal. Bis zu vier Betreuer kümmern sich in den Tagesgruppen um sie, "da können wir sehr gut auf sie eingehen." Manchen helfe schon das ruhige Umfeld: dass sie in Ruhe Hausaufgaben machen könnten oder in den (teil)stationären Gruppen nachts ruhig schlafen - "und dass wir einfach Zeit für sie haben." Zeit sei heute nicht mehr selbstverständlich, sagt Schaal. Es sei gesellschaftlich gewünscht, dass beide Elternteile arbeiten, viele seien alleinerziehend. Oft fehle auch ein funktionierendes Netzwerk, wie Großeltern, die sich mit kümmerten. Manchmal gebe es auch Gewalt in der Familie oder die Eltern hätten Depressionen oder seien suchtkrank. Häufig hätten sie es inzwischen mit emotional vernachlässigten Kindern zu tun. "Ohne Beziehung keine Erziehung", sagt Schaal. Und dazu braucht es eben Zeit. Wenn wir das den Eltern transportieren können, dann funktioniert es, sagt der 58-Jährige.

Aber auch das deutsche Bildungssystem sei für Probleme verantwortlich. Der Leistungsdruck werde immer höher. Außerdem werde in der Schule zu früh ausgesiebt. Dabei verlören ohnehin schon Benachteiligte. In anderen Ländern lernten erst einmal sechs Jahre lang alle Kinder gemeinsam.

Erfolgreich sei die Jugendhilfe, wenn Familien wieder alleine zurechtkämen. Neulich habe er jemanden getroffen, den er früher betreut habe, sagt Schaal. Der habe nun zwei Kinder, einen Führerschein und verdiene selbst. "Der steht jetzt auf eigenen Füßen, das ist toll!" Auch wenn man einer Familie bei nur einem Problem helfen könne, sei das positiv - eben wenn jemand den Führerschein mache oder das Kind den Sprung auf die weiterführende Schule schaffe und nicht in die Förderschule müsse.

Nach 20 Jahren ist Schaal, der schon bei der Gründung der Jugendhilfestationen dabei war, zufrieden. "Ich hätte damals nicht gedacht, dass wir heute noch hier sind", sagt er, "aber das hat sich hier in der Region hervorragend entwickelt."

Weitere Informationen zu den Jugendhilfestationen unter www.juhst.de

DIE ÖKUMENISCHEN JUGENDHILFESTATIONEN
Die gemeinnützige Gesellschaft Ökumenische Jugendhilfestationen ist ein freier Träger der Jugendhilfe. Sie hat ihren Sitz im Kirchweg 1 in Bitburg. Das Ziel: benachteiligten Kindern, Jugendlichen und Familien alltagspraktische und pädagogische Unterstützung in ihrer Entwicklung bieten. Jugendhilfe kann für Kinder bis zu 21 Jahren beim Jugendamt beantragt werden. Vor 20 Jahren seien die Jugendhilfestationen mit fünf Leuten in Daun gestartet, sagt Schaal. Der Grundgedanke: Hilfen aus einer Hand und regional vor Ort. Inzwischen hat die Gesellschaft 72 Mitarbeiter und Stationen in Bitburg, Prüm, Daun und Adenau. Träger sind der Caritasverband Westeifel und die evangelische diakonische Einrichtung Schmiedel e.V.

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