Zu viele Kinder, zu wenige Pflegefamilien

Bitburg/Prüm/Daun · Die Jugendämter holen immer mehr Kinder in der Region aus ihren Familien raus - die, die mit einem besonders schweren Schicksal kämpfen, werden in sozialpädagogische Pflegestellen vermittelt. Diese Aufgabe übernehmen die Jugendhilfestationen. Das Problem: Es gibt mehr Schützlinge als Familien, in denen sie unterkommen können.

Bitburg/Prüm/Daun. "Wenn ich eine Mama wie dich gehabt hätte, dann hätte ich auch eine Chance auf ein besseres Leben gehabt." Diesen Satz wird Verena Schröder nicht mehr vergessen. Eine junge Frau, inzwischen selbst Mutter, habe das einmal zu einer der Pflegemütter gesagt, die die Sozialpädagogin in der Region betreut. Seit 2003 arbeitet Verena Schröder in der Jugendhilfestation in Daun - und genau darum dreht sich ihre Arbeit jeden Tag: Sie verhilft Kindern zu einer zweiten Chance - in einer neuen Familie.
Das Schwierige daran: Es geht dabei nicht nur um Kinder, die das Jugendamt aus ihrer Familie herausgeholt hat, sondern um Kinder mit "erhöhtem pädagogischen Bedarf" - Kinder, die schon die ein oder andere schmerzliche Erfahrung in ihrem noch jungen Leben gemacht haben. Deshalb sucht Verena Schröder für sie auch nicht einfach Pflegeeltern: "Wir arbeiten mit Fachkräften zusammen. Wer ein Kind aufnimmt, muss eine pädagogische Ausbildung haben", sagt sie. "Oder zumindest etwas Vergleichbares: Eine medizinische oder therapeutische Ausbildung geht auch - wobei dann das Jugendamt das letzte Wort hat." Zusammen mit ihrer Kollegin Tanja Radics, die in der Jugendhilfestation Bitburg arbeitet, betreut Schröder die Familien - kreisübergreifend: Regelmäßig sind die Sozialpädagoginnen zu Besuch, begleiten den Umgang mit der Herkunftsfamilie, die Fahrten zu Ärzten oder Therapeuten - "was halt so anfällt", sagt Tanja Radics. "Wir sind da, wenn wir gebraucht werden." Tanja Radics ist seit einem Jahr dabei - dass sie vieles aus einem anderen Blickwinkel sieht, liegt daran, dass sie sich selbst seit 15 Jahren um ein Pflegekind kümmert. Deswegen sei sie oftmals emotionaler als andere, erzählt sie.
Fünf Mitarbeiter in den Jugendhilfestationen in Bitburg, Prüm, Daun und Adenau kümmern sich um Pflegefamilien in fünf Kreisen - dazu gehören der Eifelkreis Bitburg-Prüm, der Vulkaneifelkreis sowie die Landkreise Bernkastel-Wittlich, Trier-Saarburg und Ahrweiler. "Je Kreis haben wir etwa drei bis fünf Pflegefamilien, die wir betreuen", sagt Verena Schröder. "Wobei eine Familie maximal drei Kinder aufnehmen darf." Und der Bedarf ist groß: zu viele Kinder, zu wenige Pflegemütter und -väter.
Die Gründe dafür? "Die häufigste Ursache", sagt Verena Schröder, "ist die Überforderung der Eltern." Dadurch komme es zu "Verwahrlosungsfällen" - und die Zahl steige stetig. Den Jugendämtern in der Region geht es nicht anders - auch was die Fälle betrifft, bei denen die Pflegeeltern keine Pädagogen sein müssen (siehe Extra). Anforderungen gibt es auch hier: von den räumlichen und zeitlichen Ressourcen über die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses bis hin zu Qualifizierungsseminaren. Dem steht ein geringer finanzieller Ausgleich gegenüber: Je nach Alter des Kindes gibt es ein Pflegegeld von 771 bis 938 Euro - bei den sozialpädagogischen Pflegestellen kann dieser Betrag allerdings etwas höher ausfallen.
Gelingt es, ein Kind in die neue Familie zu integrieren, sei das "schön und beeindruckend", sagt Verena Schröder. Im Gegensatz zur Adoption könne es bei einem Pflegeverhältnis passieren, dass das Kind wieder zurück in seine Ursprungsfamilie komme - "aber bei uns ist das eher selten." Und so schwierig es manchmal sei, so schön sei es dann eben auch: "Wenn die Kinder so sehr in die neue Umgebung hineinwachsen, dass man denkt: Das sind die Söhne oder Töchter, die der Familie noch gefehlt haben."
Bei den Jugendhilfestationen kann man sich als Pflegemutter oder -vater bewerben. Infos bei: Verena Schröder, 0176 64377593, oder Tanja Radics, 0176 30745531.Meinung

Großer Gewinn auf beiden Seiten
Wenn junge Eltern kein eigenes Kind bekommen können, entscheiden sich viele für eine Adoption. Und kämpfen manchmal jahrelang dafür, bis sie eine Familie sind. Weil es eben viele Bewerber, aber wenige Babys gibt. Pflegeeltern sein scheint dagegen weniger attraktiv: Man muss sich nicht nur mit dem Jugendamt, sondern auch mit den Eltern des Kindes befassen, und zwar dauerhaft. Dabei ist es hier genau andersherum: Etliche Kinder warten nur auf diese Chance. Wenn sich niemand bereit erklärt, sie aufzunehmen, heißt die Alternative: ab ins Heim. Vielleicht steht hinter der Entscheidung gegen eine Pflegschaft ja die Angst, nur Eltern auf Zeit sein zu dürfen. Vielleicht sollte man das Risiko eingehen - der Gewinn könnte umso größer sein, auf beiden Seiten. Und wer einem Kind einmal gezeigt hat, was Zuhause wirklich bedeutet, der kann es doch eigentlich gar nicht mehr verlieren. e.blaedel@volksfreund.deExtra

Im Eifelkreis Bitburg-Prüm lebten nach Angaben der Kreisverwaltung im vergangenen Jahr 150 Kinder in Pflegefamilien. Zum Vergleich: 2012 waren es 143 Kinder, 2008: 111. 2013 lebten 83 Kinder in einem Heim, 2008: 66. Im Landkreis Vulkaneifel befinden sich derzeit 85 Kinder in Pflegefamilien. Vor fünf Jahren waren es 79 Kinder, vor zehn Jahren 67. 42 Kinder leben zurzeit in einem Heim. Im Landkreis Bernkastel-Wittlich werden derzeit 110 Kinder in Pflegefamilien betreut. 2011 waren es 109. 2009: 105, 2005: 73. Aus dem Kreis sind 131 Kinder und Jugendliche in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht. Im Landkreis Trier-Saarburg leben derzeit 122 Kinder in Pflegefamilien. Vor drei Jahren waren es 144, vor fünf Jahren 137. Aktuell sind 150 Kinder aus dem Kreis in verschiedensten Einrichtungen - auch außerhalb des Kreises - untergebracht. eib

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort