Zwischen bewusstem Leben und Hysterie

Es war Waschpulver oder Körperpuder. Und es löste einen Einsatz von 40 Feuerwehrleuten inklusive Gefahrstoffexperten aus, führte zu einer mehrtägigen Schließung eines Drogeriemarktes, langwierigen chemischen Analysen und einer hohen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit - nicht nur in Bitburg.

Diese Erkenntnis nach fünf Tagen klingt bis zur Lächerlichkeit banal und dürfte für die Mitarbeiter peinlich wirken, die wegen des Pulvers Alarm schlugen, weil sie bei sich Hautreizungen und Atembeschwerden festgestellt hatten.

Da gibt es allerdings nichts zu lachen. Und peinlich ist das Ganze ebenfalls nicht! Denn weder die Drogerie-Mitarbeiter, denen das Pulver auf der Haut juckte, noch THW und Feuerwehr oder nicht zuletzt das Ordnungsamt der Stadt haben irgendetwas falsch gemacht. Sie waren vorsichtig. Mancher mag sagen: übervorsichtig.

Aber auch das ist niemandem vorzuwerfen. Es wäre allzu einfach, eine Überreaktion zu kritisieren, die ja erst im Nachhinein als Überreaktion erkennbar wurde. Zugleich ist das Szenario, das in den vergangenen Tagen in Bitburg sichtbar wurde, ein Aspekt einer Entwicklung, die seit den 80er Jahren zu beobachten ist.

Das Bewusstsein für latente, teilweise unsichtbare Bedrohungen wächst seit mehr als zwei Jahrzehnten unaufhörlich: War es anfangs Aids, gefolgt von der radioaktiven Bedrohung nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl, folgten Dinge - um nur einige zu nennen - wie die Kreutzfeld-Jakob-Krankheit, die angeblich eine Folge des Verzehrs von verseuchtem Rindfleisch sein sollte, Athrax-Viren, die angeblich von Terroristen verschickt wurden, die Vogelgrippe und die Schweinegrippe.

Auffallend ist, dass die Zeitabstände zwischen den wahrgenommenen Bedrohungen immer kürzer werden, während die Vorsichtsmaßnahmen immer drastischer werden und die tatsächliche Bedrohung - wie sich im Nachhinein meist herausstellt - immer geringer.

Und während es zu verhindern gilt, dass wir irgendwann nur noch in einander ablösenden hysterischen Phasen leben, hat die gewachsene Vorsicht auch eine positive Seite.

Denn es ist der gleiche Trend, der auch dazu führt, dass wir nicht mehr jedes chemisch aufgepeppte Lebensmittel in uns hineinstopfen, nicht mehr bedenkenlos jede angebliche technische Innovation begrüßen und einfach bewusster leben. Dabei ist der Grat zwischen bewusstem Leben und übertriebener Angst schmal. So schmal, dass keiner je von sich behaupten sollte, er würde ihn nie überschreiten.

l.ross@volksfreund.de

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