Flüchtlinge Aufbruch ins Ungewisse

Bitburg · Gestern haben die letzten 40 Flüchtlinge die AfA-Außenstelle Bitburg verlassen. Ein Blick zurück.

 Letzter Tag in der AfA-Außenstelle Bitburg. Die Flüchtlinge wurden nach Hermeskeil verlegt.

Letzter Tag in der AfA-Außenstelle Bitburg. Die Flüchtlinge wurden nach Hermeskeil verlegt.

Foto: TV/Dagmar Schommer

Dichte Nebelschwaden hängen über Bitburg. Vor der Außenstelle der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende (AfA) stehen Koffer, Kinderwagen, Taschen und Tüten. Abreisetag. Die letzten 40 Flüchtlinge verlassen Bitburg. Sie werden nach Hermeskeil verlegt. Mario Pawlowski-Großmann vom DRK steht am Straßenrand: „Ich habe die ersten Flüchtlinge hier ankommen gesehen. Jetzt verabschiede ich die letzten.“ Für Bitburg geht ein Kapitel zu Ende. Offiziell schließt die AfA am 31. März. „Es war ein tolle Zeit“, sagt Pawlowski-Großmann. Eine Zeit, die er nicht missen will. Das sagen alle Helfer.

Sie haben Menschen kennengelernt, die sie nicht vergessen werden. Und es gibt Bilder, die sich ihnen eingebrannt haben. „Dieser Mann, dessen Rücken mit Peitschenhieben wund geschlagen war“, sagt Rotkreuzschwester Beate Herrmann. Die Hiebe hätten sich tief ins Fleisch eingekerbt, entzündet und seien noch lange nicht verheilt gewesen, als der Syrer Bitburg erreichte. Von den seelischen Wunden ganz zu schweigen.

Zusammen mit der Kreisärzteschaft unter Führung von Michael Jager haben die beiden Schwestern Beate Herrmann und Diana Likens-Kühn etwas aufgebaut, für das es kein Rezept gab. Damals, im Sommer 2015, als die Flüchtlingswelle Bitburg erreichte. Im Team der Krankenstation haben sich ehrenamtlich ein Dutzend Ärzte engagiert sowie acht hauptamtliche Schwestern. Anfangs waren die Sprechstunden in einem Container, später hatten sie eine richtige kleine Station in einem der Blocks.

Ihre Patienten: Menschen aus mehr als 20 Ländern – darunter viele Kriegs- und Krisengebiete wie Syrien, Eritrea oder Afghanistan. Das Team hat Kriegsopfer behandelt, Kinder entbunden, war bei Magen-Darm-Beschwerden und Erkältungen ebenso zur Stelle wie bei psychischen Problemen. Es wurde gelacht, geflucht, improvisiert – alles, nur niemals aufgegeben. Wer sich hier engagiert, macht es aus Überzeugung.

„Am Anfang“, erzählt Jager, „habe ich meinen Kollegen gesagt: Ihr müsst euch auf eure Sinne verlassen und aus Erfahrung entscheiden, ob dieser Mensch dringend eine aufwändigere Behandlung braucht oder nicht.“ Die Patienten verstehen die Ärzte nicht, die Ärzte die Patienten des multikulturellen Flüchtlingslagers auch nicht. „Später hatten wir Dolmetscher“, sagt Schwester Beate. Das waren Flüchtlinge, die neben ihrer Heimatsprache auch englisch konnten. Die wurden über ihre Schweigepflicht aufgeklärt. Aber einfach sei die Situation nicht gewesen. Etwa, wenn eine Frau behandelt wurde und ein Mann hinter dem Vorhang übersetzte. Manches ging nur mit Händen und Füßen. Und an den Wänden hingen Anatomiebilder.

Es gab Freude über die Geburt eines Kindes, aber auch Ärger. „Wir hatten auch Suchtkranke hier, Opium vor allem“, sagt Schwester Diana. Und wenn die auf Entzug waren, musste auch schon mal die Security in die Krankenstation eilen. Aber letztendlich sei man auch damit zurecht gekommen. Vieles geht, wenn man will.

„Zu manchen Menschen hat man eine enge Bindung aufgebaut“, sagen die Helferinnen. Wie viele Menschen sie wohl behandelt haben? „Schwer zu sagen, vielleicht 30 000 bis 40 000“, schätzt Beate Herrmann. Etwa 100 Babies kamen im Bitburger Flüchtlingslager zur Welt. „Wir haben den Frauen dann erklärt, wie man das Kind anlegt, es windelt und das alles.“ Eben das, was sonst ihre Mütter und Tanten ihnen erklärt hätten – aber die sind ja noch in dem Land, das die jungen Frauen hinter sich gelassen haben.

„Was ich nie vergessen werde,sind auch die Füße der Menschen“, sagt Schwester Diana. Die meisten seien in Gummilatschen durch sechs Länder geflohen. Diese Wunden haben die Schwestern versorgt, ebenso wie Schusswunden. Sie haben mit verängstigten Männern, Frauen und Kindern gesprochen. Manche wurden in die Psychiatrie nach Gerolstein überwiesen – stark traumatisiert. Andere fanden in Bitburg wieder ihren Lebensmut. Das Team hat Krankheiten wie Krätze, aber auch Hepatitis und Tuberkulose behandelt. „Krätze ist ja sehr ansteckend. Da mussten wir die Patienten isolieren und konnten nur in Schutzanzügen rein.“ Angst, sich selbst

sich selbst anzustecken, habe sie keine gehabt: „Man guckt einfach, wie man helfen kann.“ Sie haben Krankheitsbilder gesehen, die sie vorher nicht kannten: „Und die ausgepeitschten Rücken, Männer, die mit Säure verätzt wurden. Manche hatten über den ganzen Körper Stichwunden.“ Gestern sind die letzten Flüchtlinge nach Hermeskeil verlegt worden. Jetzt wird noch aufgeräumt und abgebaut. Dann ist die Außenstelle in der Eifel Geschichte. Was bleibt sind die Geschichten der Menschen, für die Bitburg eine wichtige Station auf ihrer Reise war. Vielleicht die erste, wo sie etwas wie Geborgenheit erlebt haben.

 Darf bleiben: Hasan Salman aus Syrien (Mitte) arbeitet für den Security-Dienst.

Darf bleiben: Hasan Salman aus Syrien (Mitte) arbeitet für den Security-Dienst.

Foto: TV/Dagmar Schommer
  Die Drei von der Krankenstation: Beate Herrmann, Michael Jager und Diana Likens-Kühn.

 Die Drei von der Krankenstation: Beate Herrmann, Michael Jager und Diana Likens-Kühn.

Foto: TV/Dagmar Schommer
  Annabella wurde vor fast zwei Jahren hier geboren. Jetzt geht’s mit Papa Erjan weiter nach Hermeskeil.

 Annabella wurde vor fast zwei Jahren hier geboren. Jetzt geht’s mit Papa Erjan weiter nach Hermeskeil.

Foto: TV/Dagmar Schommer

Die kleine Annabella winkt. Das Mädchen serbischer Eltern wurde in Bitburg geboren. Ob sie in Deutschland bleiben kann? Die beiden Krankenschwestern winken auch, haben Tränen in den Augen. Manche der Flüchtlinge haben Angst. Auch die Augen von Hasan Salmann bleiben nicht trocken. Der Syrer kam vor drei Jahren nach Bitburg, hat inzwischen eine Aufnahmegenehmigung und arbeitet für den Security Service. „Es war sehr besonders hier. Das war meine AfA, hier in Bitburg“, sagt er. Dann drückt er einen Landsmann, der nach Hermeskeil reist. Aufbruch in eine ungewisse Zukunft.

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