Das Geheimnis zwischen den Schlaufen

Um die Geschichte seines Heimatdorfes Brecht (VG Bitburg-Land) zu erforschen, hat Matthias Heinz in verschiedenen Archiven unzählige Schriftstücke durchforstet. Dabei hat er viel über längst verstorbene Menschen aus seinem Ort erfahren - und sich zwangsläufig mit deutscher Kurrentschrift auseinandersetzen müssen.

Brecht. "Eines aber noch vorweg", sagt Matthias Heinz, zeigt auf einen Zeitungsausschnitt und fährt dann fort: "Das Wort Sütterlin ist für mich ein rotes Tuch." Ein rotes Tuch deshalb, weil viele Menschen dazu neigen, alles Sütterlin zu nennen, was nicht der deutschen Ausgangsschrift entspricht und alt aussieht. Dabei ist die deutsche Sütterlinschrift erst 1915 eingeführt worden, erklärt Heinz, bis sie dann 1941 von den Nazis wieder verboten wurde. Mit Sütterlin nichts mehr am Hut

Doch der 75-jährige Mann aus Brecht hat sie - wie die meisten seiner Altersgenossen auch - in der Schule noch gelernt, danach lange Zeit nichts mehr mit Sütterlin am Hut gehabt, bis er sich dann vor 13, 14 Jahren wieder damit beschäftigen musste. Zwangsläufig. Mit Sütterlin, aber vor allem auch mit allen möglichen Variationen der Kurrentschrift aus den Jahrzehnten und Jahrhunderten davor. Denn Heinz hat vor einem halben Jahr mit einer Auflage von insgesamt 155 Exemplaren die erste Brechter Dorfchronik veröffentlicht - eine Chronik, für die er sich in zahlreichen Archiven auf Spurensuche begeben hat. "Als ich anfing zu forschen, habe ich schnell gemerkt, dass es ohne Kenntnisse der alten Schrift nicht machbar ist", sagt der Rentner, der sein Leben lang "immer nur körperlich gearbeitet hat". Also fing Heinz damit an, die alten Kenntnisse aufzufrischen und Neues dazuzulernen, in Kursen aber auch in mühsamer Heimarbeit."Die eigentliche Schrift ist leicht", erklärt der Brechter, "aber manche haben - auf gut Deutsch gesagt - geschrieben wie eine Sau." Und besonders schwierig sei, "dass es jeder anders gemacht hat, so dass es für einen Buchstaben drei oder vier Möglichkeiten gibt". Als er bei seinen Recherchen im Bistumsarchiv anfing, hatte Heinz es zunächst mit den Schriften eines Pastors zu tun, die er schon bald fließend lesen konnte. "Doch dann kam ein anderer, und was der geschrieben hat, waren für mich spanische Dörfer", sagt Chronist und lacht.Doch auch wenn das Entziffern der Schrift oft mühsam ist, so verbergen sich hinter der alten Kurrentschrift in all ihren Variationen oft Dinge, von denen keiner mehr was weiß. "Ich habe in einem Archiv drei Brüder gefunden, die nach Amerika ausgewandert sind", sagt Heinz mit leuchtenden Augen. "Da geht es mir wie einem Spitzbuben: Wenn er einmal angefangen hat, kann er es nicht mehr lassen", erklärt der 75-jährige, setzt dabei selbst sein spitzbübisches Lächeln auf und blättert in seiner Chronik. Viele Geschichten und Daten zu Brecht und den Menschen aus diesem Ort sind in dem Buch akribisch zusammengefasst. Und dazwischen immer wieder historische Fotos.Auf einem der Fotos, das jedoch erst aus dem 2005 stammt, ist auch Matthias Heinz zu sehen, wie er mit anderen Brechtern an einem Tisch sitzt und feiert. Sie alle vereint das Interesse an deutscher Kurrentschrift und verbunden damit der Bezug zu Heinz, der seit einiger Zeit, in den Wintermonaten, sein angelerntes Wissen in Kursen weitergibt. Heinz hilft, wo er kann, und "geniert sich nicht, auch mal selbst einen Experten um Rat zu fragen". Von seinen Kursteilnehmern erwartet er im Grunde nur zwei Dinge: "Der Wille muss da sein. Und die Ausdauer."

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