Aus dem Archiv März 2015 Der tiefgekühlte Höhepunkt: Computer findet für jede Kuh passenden Bullen

Fließem/Kaschenbach · Früher war die Fortpflanzung von Rindern ein Geschäft, an dem fast immer der Deckbulle des Dorfs beteiligt war. Seit dem Einsatz der künstlichen Besamung jedoch hat sich sehr viel verändert. Will der Bulle von nebenan heute noch mithalten, dann muss er sich mit der weltweiten Konkurrenz messen. Und er muss vor allem zur Kuh passen.

Während Walter Hohenbild einen roten Einweghandschuh bis zur Schulter über seinen linken Arm zieht und dabei prüfend auf das Hinterteil der Kuh blickt, in dem dieser Arm gleich bis zur Hälfte verschwinden wird, sitzt Gerd Grebener in seinem Büro. Nach dem Krieg, so Grebener, habe es in jedem Dorf oft nur einen Bullen gegeben. Den hätten dann alle Bauern mit ihren Kühen aufgesucht. Und wenn sich dieser Bulle dann bei einer der zahlreichen Begattungen eine Krankheit eingefangen habe, so sei diese dann im ganzen Ort verbreitet worden, fügt Grebener hinzu. Diese sogenannte Deckseuche sei auch der Hauptgrund dafür, warum man in der Nachkriegszeit mit der künstlichen Besamung angefangen habe.

Seitdem hat sich viel verändert - sowohl was das Verfahren der Spermagewinnung als auch die Einsatzmöglichkeiten betrifft. Den eigentlichen Quantensprung in der Entwicklung habe es aber vor allem durch den Einsatz von Computern und die damit verbundene Vernetzung von Daten gegeben, erklärt Grebener. Und Grebener muss es wissen. Denn der Mann, der gebürtig aus Norddeutschland stammt, ist Regionalleiter der Rinder-Union West (RUW) in Fließem und als solcher zuständig für Rheinland-Pfalz und das Saarland. Und zu den Aufgaben der RUW, die ihre Zentrale im nordrhein-westfälischen Münster hat, gehört neben der Zucht und Vermarktung auch die Besamung von Rindern. So wurden nach eigenen Angaben allein 2013 weit mehr als eine Million Spermaportionen verkauft.

Früher war es so, dass die Spermien vom Ursprung bis zum Ziel nur wenige Zentimeter zurücklegen mussten. Heute liegen zwischen dem Hoden des Erzeugers und der zu befruchtenden Eizelle nicht selten ganze Länder oder gar Kontinente. Der Handel mit Bullen-Ejakulat ist ein weltweites Geschäft. Die Einzigen, die davon kaum etwas mitbekommen, sind die Spermien selbst. Denn sobald sich der Bulle ihrer in einer rohrförmigen künstlichen Vagina entledigt hat, endet zunächst für die Milliarde Spermien das Rennen um den ersten Platz. Das Ejakulat landet stattdessen in einem Glasröhrchen am Ende der Gummischeide und wird dann in dünne Kunststoffröhrchen, Pailletten genannt, abgefüllt. Und dann wird es kalt. Richtig kalt. In flüssigem Stickstoff werden die Spermien auf minus 196 Grad runtergekühlt.Sperma auf 38 Grad erwärmt


Ein Teil dieser zigmilliarden Spermien, die Jahr für Jahr auf dem RUW-Gelände in Tiefschlaf versetzt werden, kommt irgendwann im Auto von Walter Hohenbild wieder zu sich. Der 62-Jährige ist Mitarbeiter der RUW und bereits seit 37 Jahren Besamungstechniker. Er ist derjenige, der das vollendet, was der Bulle begonnen hat. Im Kofferraum seines Kombis stehen zwei Stickstoffbehälter, gefüllt mit mehr als 1000 Pailletten. Eines dieser Röhrchen hat Hohenbild gerade in einem Warmwasserbad von minus 196 auf plus 38 Grad erwärmt. Mit Hilfe einer langen Pipette wird diese Spermaladung nun gezielt in der Gebärmutter der Kuh platziert. Der ganze Vorgang dauert gerade mal zwei Minuten. Ob die Besamung erfolgreich war, wird sich in einigen Wochen zeigen.

"Früher war das einfacher", sagt Hohenbild. "Da hat der Besamer entschieden, was auf die Kuh kommt." Heute ermittelt der Computer, welcher Bulle am besten zu welcher Kuh passt. Jedes Rind hat seine Eigenschaften. Und es gibt standardisierte Listen, in denen sämtliche Körpermerkmale wie die Größe oder der Milchcharakter, aber auch die Höhe des Euters oder die Länge der Zitzen erfasst werden.Landwirte wählen Merkmale aus


So ist Letzteres beispielsweise entscheidend, wenn die Kühe von Melkrobotern gemolken werden. Für diese Automaten ist es wichtig, dass der Euter nicht zu tief hängt und die Zitzen nicht zu lang sind. Hat also beispielsweise ein Bauer eine Kuh, bei der einige dieser Körpermerkmale nicht dem gewünschten Ideal entsprechen, so hilft ihm die computergestützte Anpaarung dabei, für diese Kuh einen Bullen mit optimalen Genen zu finden. Das Kalb, das daraus entsteht, vereint dann im Idealfall die positiven Eigenschaften beider Eltern.

Landwirt Niko Billen aus Kaschenbach arbeitet bereits seit gut zehn Jahren mit dieser Methode. "Für uns liegt der Vorteil darin, dass wir dadurch eine ausgeglichene Herde mit guten Zuchtwerten haben", sagt er. Derzeit liege die jährliche Milchleistung seiner Kühe bei rund 11 000 Litern pro Tier, doch lasse sich diese Leistung durchaus noch steigern. Gleichzeitig erhöhe sich bei einer Kuh mit guten Merkmalen und entsprechender Milchleistung auch deren Lebensdauer, erklärt Billen. "Ziel ist, dass jede Kuh mindestens 30 000 Liter geleistet hat, bevor sie geschlachtet wird."

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