Ein Flüchtlingsschicksal aus der Eifel: Henri Juda berührt Zuhörer mit Leidensgeschichte seiner Familie

Bitburg · Henri Juda hat bei der Ausstellungseröffnung über Jüdisches Leben in Bitburg die Geschichte seiner Familie erzählt. Die kommenden drei Monate sind Banner und Fotos in den Schaufenstern des ehemaligen Bekleidungshauses zu sehen.

Ein Flüchtlingsschicksal aus der Eifel: Henri Juda berührt Zuhörer mit Leidensgeschichte seiner Familie
Foto: Klaus Kimmling

Karl Juda war ein Flüchtling. Einer, der nur mit viel Glück überlebte und später in das Land zurückkehrte, das ihm so viel genommen hatte. Nach dem Krieg führte er mit seiner Frau Johanna das Bekleidungshaus in Bitburg. Das Schicksal des Karl Juda: Es sei wohl einer der Gründe dafür, sagt Thomas Barkhausen vom Arbeitskreis Gedenken, dass es heute das Asylrecht im Grundgesetz gebe.

Der Arbeitskreis hat am Montagabend die Ausstellung "Jüdisches Leben in Bitburg" eröffnet. Eine Schau, die "die Fragwürdigkeit von Urteilen und Vorurteilen zeigen soll", sagt Barkhausen. Mithilfe von Bildern - etwa einem Klassenfoto, vermutlich aus dem Jahr 1931. Barkhausen: "Welches Kind ist nun dadurch, dass es ‚anders' ist, zum Tode verurteilt?"

Mehr als 130 Menschen sind ins Bekleidungshaus Juda gekommen. Und Henri Juda, Sohn von Karl Juda, ist "total überrumpelt": Mit vielleicht 40 Leuten hat man gerechnet, die Stühle reichen nicht, die meisten Gäste müssen stehen, doch als Henri Juda die Geschichte seiner Familie erzählt, ist es mucksmäuschenstill im überfüllten Raum.

Den "Schatten des Holocausts", der auch auf seiner Kindheit gelegen habe, versucht Henri Juda erst seit einigen Jahren zu verarbeiten. Er hat nicht nur Zahlen und Fakten zusammengetragen, sondern er erzählt auch von den Grautönen dieser Geschichte: Etwa, wie der Judenälteste in Luxemburg den Namen seiner Großmutter, die vergessen worden war, an die Stelle seiner Cousine setzte und sie daraufhin in das als Altersheim getarnte Sammellager Fünfbrunnen, dann nach Theresienstadt und später nach Auschwitz kam. Als sie dort ermordet wurde, war Klara Juda 54 Jahre alt. "Aber mit diesem Mann hat mein Vater nie seinen Frieden gemacht", sagt Henri Juda. Der in Bitburg geborene Großvater, Heinrich Juda, war 1914 für sein deutsches Vaterland in den Krieg gezogen und 1921 an den Folgen einer Kriegsverletzung gestorben.

Nach Auschwitz kam auch Henri Judas Mutter - und überlebte. "Und sie hat sich deshalb stets schuldig gefühlt." Johanna Salomon landete im Konzentrationslager, weil sie von einem Luxemburger verraten worden war: Er verkaufte 1943 ihr Versteck in Brüssel für eine Kopfgeldprämie an die Nazis. Das war, nachdem Johanna den Schneidermeister Bernhard Ingwer geheiratet und mit ihm geflohen war. Sie wurde in Block 10 gebracht, wo Ärzte Experimente an ihr und anderen Frauen machten. Aber die aus Trier stammende Widerstandskämpferin Orli Wald rettete Henri Judas Mutter vor einem weiteren schlimmen Menschenversuch. "Doch statt ihrer wurde eine andere Frau ans Bett gefesselt."
Seine beiden Großmütter müssen sich noch in Fünfbrunnen getroffen haben, sagt Henri Juda. Wo Franziska Salomon aber ums Leben kam, weiß er bis heute nicht. Seine Eltern lernten sich erst 1946 kennen und heirateten ein Jahr später in Luxemburg.

Sein Vater hatte dank einer abenteuerlichen Flucht überlebt: Weil Karl Juda sich geweigert hatte, den Judenstern zu tragen, und die Armbinde seinem deutschen Schäferhund um den Hals gehängt hatte, schickte man ihn in ein Arbeitslager bei Greimerath. Er floh - quer durch Deutschland bis nach Weil am Rhein, wo er in der Nacht über die Grenze schwamm. Die Schweizer Polizei nahm ihn fest, wollte ihn ausliefern - ließ ihn dann aber wieder zurückschwimmen. "In einem Steinbruch ist er dann tagelang umhergeirrt", erzählt Henri Juda. "Nur in einer Badehose." Bis dort ein Offizier vom Reichsarbeitsdienst ein Bad nehmen wollte - und seine Uniform ablegte. Karl Juda nahm nicht nur dessen Kleidung, sondern auch das Fahrrad - und damit schaffte er es zurück bis nach Luxemburg, wo er sich zweieinhalb Jahre bei einer Bauernfamilie verstecken konnte.

1950 kaufte Karl Juda dann das Geschäft in Bitburg. Die Eltern, erinnert sich Irmgard Arens aus Bitburg, "habe ich nicht nur gekannt, sondern sie auch geschätzt". Der Abend sei für sie interessant und sehr berührend gewesen, nicht zuletzt, weil der Sohn die Geschichte erzählt habe.

Auch wenn er sich noch nicht jedes Wort erschließen konnte, Ali Khadra aus Syrien, seit fünf Monaten in Bitburg, versteht: "Ein Regime, das Menschen tötet: Die Mittel sind andere. Das Leiden ist das Gleiche."

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