Herberge im Stall

Steffeln, am Heiligabend 1944: Unsere Familie wohnte in einem alten Bauernhaus. An Weihnachten waren wir voll belegt. Neben den sechs Mitgliedern unseres Haushalts waren noch zehn Flüchtlinge bei uns untergebracht.

Hinzu kam noch die übliche Einquartierung von drei bis vier Soldaten, die jedes Haus aufzunehmen hatte. Die Front war nur noch etwa 25 Kilometer entfernt. Am späten Vormittag kamen drei Soldaten mit ihrem Trupp von der Front zurück. Sie baten bei uns um Quartier für ein paar Nächte. Vater wollte sie abweisen, weil wir keinen Platz mehr hatten. Aber Mutter sagte: "Es ist Weihnachten. Da weist man niemanden ab, der Herberge sucht." Da stimmte Vater zu, dass die drei Soldaten im Stall übernachten konnten. Sie fielen ins Stroh und schliefen bis zum Abend, als die Kühe gemolken wurden. Inzwischen hatte Mutter eine große Pfanne mit Bratkartoffeln gemacht. "Die bringe ich Euch in den Stall", sagte meine Mutter zu den Soldaten, die es abgelehnt hatten, im Haus zu essen, da sie Läuse hatten. Nach dem Essen wünschten wir ihnen eine gute Nacht und gesegnete Weihnachten. "So", sagte Mutter, "jetzt können wir auch Weihnachten feiern." Es war der 24. Dezember 1944, mein neunter Geburtstag. Maria Miesen ist heute 68 Jahre alt, Hausfrau und Mutter von fünf Kindern. Sie lebt mit ihrer Familie in Lissendorf.

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