Schulsozialarbeit in Bitburg: Eine Frau für alle Fälle

Bitburg · Kommt es zu Konflikten, sucht Schulsozialarbeiterin Cornelia Fuchs nicht zuerst bei Kindern nach Fehlern, sondern in deren Umfeld. Sie hat die Grundschule Bitburg-Süd demokratischer gemacht.

 Demokratie im Klassenrat der 4a: Cornelia Fuchs (Mitte) springt als Vermittlerin ein, wenn Kinder, Lehrer oder Eltern nicht mehr weiter wissen. Pierre Neuhaus (links) führt Protokoll, während Sevin Yildirim die Sitzung leitet.

Demokratie im Klassenrat der 4a: Cornelia Fuchs (Mitte) springt als Vermittlerin ein, wenn Kinder, Lehrer oder Eltern nicht mehr weiter wissen. Pierre Neuhaus (links) führt Protokoll, während Sevin Yildirim die Sitzung leitet.

Foto: Nicolaj Meyer

Flatsch! Jannis* schmettert einer Schülerin einen Ball ins Gesicht und bewirft den Sportlehrer mit ebenso harten Worten. Dann Diskussionen statt Gymnastik. Der Lehrer weist Jannis zurecht. Für die anderen Kinder drehen sich die Zeiger derweil immer weiter in Richtung Diktat in der nächsten Stunde. Denn solange einer quer tanzt, muss der Rest der Klasse warten.
Ob er in Zukunft vom Unterricht ausgeschlossen wird oder wie es für Jannis weiter geht, bestimmen nicht nur die Lehrer der Klasse 4a. Denn Schulsozialarbeiterin Cornelia Fuchs hat Demokratie in die Grundschule Bitburg-Süd gebracht. Fuchs verfolgt den Ansatz, dass sich Probleme nicht nur mit dem auffällig verhaltenden Kind, dem Einzelnen, sondern viel mehr mit dem sozialen Umfeld, dem System, lösen lassen. Auch griechische Philosophen würden mit einem zufriedenen Lächeln auf den Stuhlkreis schauen, den die 34-Jährige etabliert hat. Einmal die Woche gibt es den Klassenrat: Hier bespricht die 4a ihre Themen und gestaltet so die eigene Schulzeit mit.
Rund 20 Kinder sitzen mit Cornelia Fuchs im Kreis und beraten über die Situation in der Turnhalle. Fuchs schlägt im Klassenrat vor, sich mit dem Sportlehrer und Jannis zusammenzusetzen für ein vermittelndes Gespräch. Viele im Kreis nicken. Dann erteilt Sevin Yildirim, die Vorsitzende des Rats, einem Klassenkameraden das Wort. Der sagt: "Ich bin dafür, nächste Woche zu schauen, wie es mit Jannis geklappt hat." Frau Fuchs fragt in die Runde: "Wer glaubt, dass Jannis auch anders kann?" Wie bei einer Laolawelle gleiten die Finger befürwortend in die Luft. Die Gemeinschaft steht hinter Jannis, auch wenn er manchmal ein Rowdy sein mag. Durch solche Gespräche sollen die Schüler respektvollen Umgang miteinander und Probleme in einer Gemeinschaft lösen lernen.

Der blondschopfige Schriftführer Pierre Neuhaus lässt derweil eifrig den Stift kreisen, Regelwächter Kyryl Slupskyi passt auf, dass niemand dazwischen redet. Verwarnungskärtchen hält er bereit, wie ein Cowboy die Pistole. Braucht aber keinen Schuss: Manch murmelnder-auf-das-iPhone-schielende Bundestagsabgeordnete könnte sich die ruhige und konzentrierte Arbeitsatmosphäre im Klassenrat zum Vorbild nehmen. Batoul Balsi Basha schaut als Zeitwächterin auf die Uhr. Weitere wichtige Themen des Rats sind heute ein Termin auf der Eisbahn oder eine Abstimmung darüber, ob die Schüler in einer gemeinsamen Aktion den Wald sauber machen wollen. Die Zeitwächterin hat einen guten Job gemacht, das System funktioniert, der Gong beendet die Stunde gerade recht zum Ende des Klassenrats. Die ausgebildete Therapeutin spricht danach mit Klassenlehrerin Julia Müller. Das Fazit der Lehrerin: "Dank des Klassenrats können sich die Kinder verlassen, dass ihre Anliegen geklärt werden." Nun gebe es immer weniger Konflikte.
Warum braucht eine Schule neben den Lehrern eine Sozialarbeiterin? Lehrer seien dafür da, den Unterrichtsstoff zu vermitteln, sagt Fuchs. Die zusätzlichen Aufgaben könnten Lehrer nicht leisten. Mobbing oder Probleme im Elternhaus seien nur kleine Ausschnitte der alltäglichen Konflikte. Täglich von 9 bis 13 Uhr ist sie in der Schule. Hauptsächlich sieht sich Fuchs als eine Vermittlerin zwischen Eltern, Lehrern und Schülern. Weil sie eine Schweigepflicht habe, öffneten sich die Eltern ihr gegenüber leichter. Und weil sie keine Noten verteile. "Mein Büro ist ein sicherer Raum". Sie kümmert sich darüber hinaus um Ausflüge, arbeitet mit Vereinen zusammen, wie dem Beda-Institut, und vermittelt Förderungen für etwa musisch begabte Kinder.
Als systemische Therapeutin schaut sie sich das ganze Umfeld der Kinder an. Manchmal auch mit Hausbesuchen. "Kinder sind nicht auffällig, sie zeigen nur auffälliges Verhalten, weil es im System irgendwo hakt.", sagt Fuchs. Wenn Kinder Probleme machen, komme das entweder von Überforderung oder Kränkung. Und wie kann man dem entgegnen? "Kinder machen alles mit, solange man es ihnen kindgerecht erklärt, egal ob es um Scheidung geht oder nur um einen Urlaub." Als Negativbeispiel: Sie habe schon erlebt, dass eine Mutter ihrem Kind die Scheidung erklärt habe mit der Begründung: "Der Papa hat es eben im Bett nicht gebracht."
Seit 2015 arbeitet Fuchs als Schulsozialarbeiterin. Im Eifelkreis gibt es diese Stelle seit 2011 auch an Grundschulen, vorher bereits an weiterführenden Schulen. Die Arbeit sei anspruchsvoller geworden: Über 70 Prozent Schüler mit Migrationshintergrund gebe es an dieser Grundschule. So sprechen die Kinder dort insgesamt 17 verschiedene Sprachen. Jeder Kulturkreis habe wiederum eigene Regeln für die Kinder. "In manchen Fällen muss ich vermitteln und erklären, warum gewaltfreie Erziehung sinnvoll ist", sagt sie. Ein wesentlicher Faktor sei auch, dass die Klassen von insgesamt acht auf nun zwölf erhöht worden.
Dennoch ist sie hoch motiviert. "Als Scheidungskind habe ich mich lange Zeit selbst bemitleidet. Das war mein Grund, Pädagogik zu studieren. Und klar, man will halt helfen." Vor der Bitburger Grundschule wurde sie eigentlich gewarnt. Der Ruf sei schlecht, sagt sie: "Da kannst du nicht hingehen, meinten Freunde, die schlitzen dir die Reifen auf". Doch sie wurde positiv überrascht: Fuchs schwärmt vom Zusammenhalt der Kollegen und davon, die Kinder von der ersten in die vierte Klasse begleiten zu dürfen. Sie lächelt und bekommt große Augen dabei: "Ich mache das wirklich mit Herz."
* Name von der Redaktion geändert.

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