"Vor den Augen der Welt"

KELBERG. (bb) Etwa 200 Zuhörer hatte Esther Mujawayo am Ruanda-Tag bei der Vorstellung ihres Buches "Ein Leben mehr". Die Ruanderin überlebte den Völkermord 1994, hat aber den Tod vieler Familienmitglieder zu bewältigen.

Carola Willems vom Freundeskreis Ruanda kündigte s als "außergewöhnliche Stunde" an, der Journalist Thomas Nettelmann bezeichnete es als die ergreifende und ungeheuer lebendige Bilanz jener unfassbaren Ereignisse vom April 1994 , Rita Krieger gab mit gelesenen Passagen Beispiele: Gemeint ist das Buch "Ein Leben mehr" von Esther Mujawayo, das die Autorin beim Ruanda-Tage vorstellte. Die 48-jährige Soziologin ist in Ruanda geboren und arbeitet heute in Deutschland als Trauma-Therapeutin mit Flüchtlingen aus afrikanischen Ländern. Den Völkermord 1994 überlebten sie und ihre drei kleinen Töchter. "Doch mein Leben hat sich innerhalb kürzester Zeit völlig verändert", sagte sie in Kelberg. "Mein Mann, meine Eltern und Schwiegereltern, meine Geschwister und viele Freunde wurden getötet. Unsere Häuser wurden zerstört, die Kühe geschlachtet, die Bäume gefällt, die Straßen aufgerissen", berichtet sie über das eigene Erleben im Frühjahr vor zwölf Jahren, als in Ruanda "vor den Augen und mit dem Wissen der ganzen Welt" in weniger als 100 Tagen mehr als eine Million Menschen umgebracht wurden. Das Buch "Ein Leben mehr", das Esther Mujawayo mit Hilfe einer Journalistin geschrieben hat, beginnt mit den Worten: "Es ist soweit, ich fange an. Ich muss darüber sprechen, muss es aufschreiben, für dich, für alle." Das Schreiben und Sprechen habe sie gerettet, weiß Mujawayo heute. Und dass sie sich mit 50 anderen Witwen zusammen getan und eine Hilfsorganisation gegründet habe, die heute 35 000 Mitglieder zähle. "Lasst uns Lebendige sein, nicht Überlebende!", so laute ein Grundsatz. Ein anderer: auf das zu schauen, was geblieben sei, nicht auf das, was verloren ging. Mit dem Blick auf den Buchtitel sagt Esther Mujawayo: "Es gibt trotz allem immer ‚ein Leben mehr'". Mit dem Blick auf die politisch Verantwortlichen und Täter betont sie: "Ich fordere keine Rache oder Schadensersatz, ich will Gerechtigkeit."

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