Wer kann heute noch Sütterlin?

NEUHEILENBACH/BITBURG. Für die Großeltern gehörte sie zum Alltag, die Eltern kennen sie oft gerade noch: die Sütterlin-Schrift. In den letzten Jahrzehnten ist die Handschrift allerdings ins Belanglose gedriftet - halb vergessen und vom Aussterben bedroht.

Diesen Umstand will Trude Neumann aus Neuheilenbach nicht tatenlos hinnehmen: "Das darf doch nicht sein", sagt sie uns bei einem Besuch in der TV -Redaktion, "Die schöne Sütterlin-Schrift darf einfach nicht aussterben."Mit "Sütterlin" werden heute die im 19. und 20. Jahrhundert gebräuchlichen Handschriften, die so genannten Kurrentschriften, bezeichnet. Der Name leitet sich von ihrem Erfinder ab, dem Graphiker Ludwig Sütterlin. Ganz dem preußischen Normierungswahn folgend, legte er 1914 seinen Handschrift-Entwurf vor, der ab 1924 in allen preußischen Grundschulen verbindlich eingeführt wurde. Doch schon 1941 wurde ihre Verwendung durch einen Erlass wieder verboten.Seltsame Haken und Schnörkel

Für die ungeübten Augen der Nachkriegsgeborenen ist Sütterlin-Geschriebenes nur schwer zu entziffern: Seltsame Haken und Schnörkel verfremden die sonst so geläufigen Worte. Da stellt sich schon gleich ein großes Problem: "Seitdem Sütterlin nicht mehr in den Schulen gelehrt wird, gerät die Schrift zunehmend in Vergessenheit", sagt Neumann, "Mit der älteren Generation sterben auch die Menschen aus, die Sütterlin noch lesen können. Schon jetzt fehlt es an versierten Übersetzern", gibt die 73-jährige zu bedenken. Schließlich waren Sütterlin und ähnliche Handschriften schon lange Zeit vor ihrer Einführung als Einheitsschrift weit verbreitet. Es existieren daher viele Schriftstücke privater Natur, wie Tagebücher und Briefe, aber auch öffentliche Zeugnisse aus der Verwaltung und dem Gerichtswesen in diesen alten Handschriften: "Die Archive sind voll mit Texten in Sütterlin und kein Mensch kann sie lesen.", bedauert Neumann die Situation. Seit Jahren verfasst und publiziert die engagierte Eifelerin selbst kurzweilige Texte zu allen Lebenslagen - mal erheiternd, mal nachdenklich stimmend - in Sütterlin und Fraktur: "Es ist für mich Hobby und Verpflichtung zugleich", beschreibt Neumann ihre Arbeit, "Denn mein Hauptanliegen ist es, dass die beiden Schriften als deutsches Kulturgut überleben". Zu diesem Zweck hat sich auch ein Verein gegründet, der Verein Deutsche Kurrent Schrift (DKS), dem Neumann selbstverständlich angehört. Hier können Menschen Hilfe finden, die Schriftstücke ihrer Vorfahren wegen der ungewohnten Handschrift nicht mehr lesen können, oder wenn sie sich einfach über die "alte Schrift" informieren möchten.Infos zur Sütterlinschrift bei: Trude Neumann, Telefon: 0656/8329 oder beim DKS, Rolf Husemann, Telefon: 02678/1430.

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