Weinbau Handlese und Vollernter
Der Herbst ist Erntezeit: Äpfel werden geerntet, Birnen werden geerntet, Zwetschgen werden geerntet, Kartoffeln werden geerntet, Kürbisse werden geerntet. Und was geschieht mit den Trauben? Die werden, soweit ich zurückdenken kann, immer schon gelesen.
Wann beginnt die Traubenernte? Wie weit seid ihr mit der Ernte? Seid ihr fertig mit der Ernte? Solche Sätze hört man dagegen selten. Trauben werden gelesen. Das war schon immer so, basta?
Jetzt, im schon etwas reiferen Alter, frage ich mich zum ersten Mal in meinem Leben, woher der Ausdruck „Traubenlese“ kommt. Bei Google finden sich unter anderem folgende Erklärungen: „Die Weinlese, auch Traubenlese oder schlicht Lese genannt, ist für die Trauben das, was für alle anderen Nutzgewächse die Ernte ist, Der Name Weinlese leitet sich aus dem Lesen der besten Trauben ab, also jenen, die reif sind. Die Lese im Weinberg wird traditionellerweise manuell vorgenommen, wobei die Trauben mit der Hand abgeschnitten werden. Diese Handlese ermöglicht es den Winzerinnen und Winzern, nur die reifsten, gesündesten und besten Trauben abzuschneiden, also auszulesen.“
Ist dann eine Spätlese ein Wein, für den die Trauben besonders spät gelesen werden? Vom Ursprung her ist das so. Die Geschichte dazu: Die Bezeichnung Spätlese entstand im 18. Jahrhundert durch einen Zufall im Weinanbaugebiet Rheingau. Da das damalige Schlossgut Johannisberg in Fremdbesitz war, brauchte es für die Ernte eine Erlaubnis, die jedes Jahr durch einen berittenen Boten erteilt wurde. In einem Jahr verspätete sich der Bote allerdings, sodass die Weintrauben als nicht mehr brauchbar erschienen. Sie waren bereits von der Grauschimmelfäule befallen und galten als verdorben.
Die Trauben wurden aber trotzdem von den Stöcken geholt und verarbeitet. Der Wein stellte sich, oh Wunder, im folgenden Jahr als besonders hochwertig und fruchtig heraus. Den besonderen Geschmack hat so ein edelsüßer Wein also der Entdeckung der Grauschimmelfäule zu verdanken. Sie ist als Botrytis (Edelfäule) bekannt.
Letztlich ist die Spätlese – genau wie die Auslese – aber nur ein Prädikat. Kabinett, Beerenauslese, Trockenbeerenauslese und Eiswein vervollständigen die Liste der insgesamt sechs Prädikatsstufen. Dabei gilt für die raren und teuren Beerenauslesen und Trockenbeerenauslesen: In der Regel werden einzelne besonders hochwertige oder edelfaule Beeren – natürlich per Hand – aus einer Traube herausgelesen. Im Dialekt heißt das auch „gepiedelt“ (ohne Garantie für die richtige Schreibweise).
Bleibt die Frage, wie der maschinelle Einsatz im Weinberg bezeichnet wird? Der ist in den flacheren Lagen möglich. In den Steil- und Steilstlagen, in denen die hochwertigsten Rieslinge, geht alles per Hand – meist in mehreren Etappen. Im Flachland taucht der Vollernter auf, der die Weinbergsstöcke im Schnelldurchgang aberntet.
Von einem Vollleser habe ich in dem Zusammenhang noch nie etwas gehört oder gelesen. Den gibt es höchstens mal bei der Hahnenfeier, dem Abschluss der Lese, wenn jemand etwas zu tief ins Weinglas geschaut hat.