Auftritt im Saarland Virologe Hendrik Streeck: „Es wird keine Herdenimmunität geben“

Saarbrücken · Hendrik Streeck hat in der Villa Lessing in Saarbrücken über das „Leben mit Corona“ gesprochen. Der Virologe, der immer wieder kritisiert wird, stellte sich selbstsicher den Fragen des SZ-Chefredakteurs Peter Stefan Herbst – aber verriet auch, was er als seinen größten Fehler in der Pandemie betrachtet.

Virologe Hendrik Streeck (rechts) im Gespräch mit SZ-Chefredakteur Peter Stefan Herbst (links) in der Villa Lessing.

Virologe Hendrik Streeck (rechts) im Gespräch mit SZ-Chefredakteur Peter Stefan Herbst (links) in der Villa Lessing.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Er ist verhasst und geliebt, doch in erster Linie ist er Wissenschaftler. Das will Virologe Hendrik Streeck, der im Zuge der Corona-Pandemie unerwartet als eine Art „Anti-Drosten“ berühmt geworden ist, offensichtlich beim Gespräch in der Villa Lessing in Saarbrücken zeigen. Die FDP-nahe Stiftung hat Streeck eingeladen, um über das „Leben mit Corona“ zu sprechen. Moderiert wurde die Veranstaltung von SZ-Chefredakteur Peter Stefan Herbst.

Anfang des Jahres hat Streeck das Sachbuch „Hotspot – Leben mit dem neuen Coronavirus“ veröffentlicht. Der Untertitel verrät bereits, wohin es geht.

„Das Virus wird nicht aus der Gesellschaft verschwinden“, sagt Streeck. „Wie definieren wir eigentlich das Ende der Pandemie? Diese Frage haben wir nicht beantwortet.“ Wir würden bis ans Ende unseres Lebens immer wieder Kontakt mit dem Virus haben. Man müsse sich damit abfinden, dass man auch in diesem Herbst immer wieder Menschen haben werde, die an Corona erkranken oder sogar sterben.

Streeck in Saarbrücken über seinen neuen Hund, Karl Lauterbach und soziale Medien

„Einen Bestseller zu veröffentlichen, plötzlich so im politischen Rampenlicht zu stehen – das ist nicht gerade das klassische Schicksal eines Virologen“, stellt SZ-Chefredakteur Herbst fest. „Was hat sich noch in Ihrem Leben verändert?“ Streeck schmunzelt. Er habe sich einen Hund angeschafft, der beruhige ihn sehr. Aber im Ernst: „Ich hatte auch schlaflose Nächte. Gerade die massiven Anfeindungen in sozialen Medien sind nicht einfach an mir abgeprallt. Ich finde soziale Medien toxisch für eine Gesellschaft und eine Demokratie.“ Er sei beschimpft worden, auch zwei Morddrohungen habe er erhalten – übrigens aus „beiden Lagern“ der Debatte. Doch das sei immer noch kein Vergleich zu dem, was Christian Drosten und Karl Lauterbach erlebt hätten.

Streeck zeigt sich im Talk versöhnlich und möchte offensichtlich nicht schlecht über seine Kollegen sprechen, die oft anderer fachlicher Meinung sind als er. Er betont zum Beispiel, dass er sich schon öfter mit SPD-Politiker und Gesundheitsökonom Karl Lauterbach auf einen Kaffee getroffen habe, um Dinge zu klären. „Das kann man ja nicht abstreiten, dass Lauterbach eine ein wenig dramatischere Sicht auf das Virus hatte.“ Aber Lauterbach habe oft auch recht gehabt, so Streeck.

Dennoch beginnen an diesem Abend auffällig viele von Streecks Aussagen mit der Einleitung: „Wir wissen, dass ...“ Zum Beispiel zur Frage, ob die vielen Warnungen in der Pandemie Panikmache oder eher nötige Aufklärung gewesen seien: „Wir wissen, dass wenn viel und dauerhaft gewarnt wird, diese Warnung irgendwann nicht mehr ernstgenommen wird.“

Streeck hält nichts vom Begriff „Pandemie der Ungeimpften“

Was weiß man noch? „Vieles spricht dafür, dass die höhere Infektionsrate eher durch die vielen Tests provoziert ist.“ Denn: „Wo vermehrt getestet wird, werden vermehrt Infektionen gefunden.“ Aber dennoch wolle Streeck nicht behaupten, dass die Tests überflüssig seien. Sie seien immer noch ein „nützliches Werkzeug“, um einen Überblick über das Infektionsgeschehen im Land zu behalten. „Wir haben immer noch sehr viele Erkrankungsfälle, auch tödliche Fälle, in unseren Krankenhäusern.“

Herbst erwähnt den Begriff „Pandemie der Ungeimpften“, der zur Zeit immer wieder durch die Medien geistere. Damit kann Streeck nichts anfangen: „Ich finde das ziemlich unsolidarisch!“ Außerdem sei es ein Irrtum, dass das Virus nur unter Ungeimpften grassiert. „Wir wissen“, dass die Impfung sehr gut vor einem schweren, potentiell tödlichen, Verlauf einer Covid-Erkrankung schützt, aber nicht vor Ansteckung und Übertragung.

Es wird keine Herdenimmunität geben“

„Ist das der Grund, warum Sie mal sagten, der Schutz durch Impfung sei überschätzt?“, fragt Herbst. Streeck antwortet klar: „Es wird keine Herdenimmunität geben.“ Auch er glaube, dass eine „ordentliche Impfquote“ die Lösung sei. Aber aus anderen Gründen: „Man wird sich weiterhin infizieren, aber die Infektion wird keine Rolle mehr spielen, weil sie nicht gefährlich sein wird oder man sogar gar keine Symptome spürt.“

Zur Impfung von Jugendlichen sagt Streeck, sie sollten selbst entscheiden, ob sie das Risiko einer Infektion eingehen oder sich impfen lassen wollen. „Nach 18 Monaten Pandemie sollte jeder genug Bildung haben, das für sich zu entscheiden.“ Vereinzelter Applaus in der Villa. Bei Impfungen für Kinder unter zwölf Jahren sieht Streeck es aber anders: „Die Datenlage spricht nicht dafür, dass man Kinder in dem Alter impfen lassen soll – es sei denn, es gibt eine Vorerkrankung; dann wäre die Empfehlung auf jeden Fall angebracht.“

Streeck über die größte politische Fehlentscheidung - und seinen Satz, den er am meisten bereut

Über welche politische Entscheidung im Kontext der Corona-Pandemie hat Streeck sich am meisten geärgert? Das ist eindeutig die Bundesnotbremse, die ab einer Inzidenz von 100 bundeseinheitliche Regelungen vorsieht – etwa eine Ausgangssperre ab 22 Uhr. „Es war einfach klar, dass die Bremse keinen Unterschied machen wird“, sagt Streeck. „Die meisten Experten waren sich einig, dass eine Ausgangssperre nichts erreichen wird.“

Hier können Sie die gesamte Veranstaltung mit Hendrik Streeck im Video sehen:

Aber Streeck räumt auch Fehler ein. Auf Nachfrage erklärt er, welchen Satz zur Pandemie er am meisten bereut: „Worüber ich mich am meisten geärgert habe, war eine Sendung von Maischberger, in der ich etwas ganz anders gemeint habe, aber mich blöd ausgedrückt habe“, so Streeck. Der Satz, den er bereut, war: „Ich finde es müßig, über Todeszahlen zu reden.“ Er sei in der Sendung ein Einspieler von Lauterbach gezeigt worden, in dem dieser hochgerechnet habe, wie viele Tote bei einer bestimmten Anzahl von Infizierten zu erwarten seien. Streeck wollte mit seinem Satz eigentlich kritisieren, dass Lauterbach die Dunkelziffer an Infizierten nicht mitberechne. „Manchmal gehen mir so viele Gedanken durch den Kopf. Das war mir rausgerutscht und dann habe ich mich darüber geärgert“, so Streeck.

 Das sei doppelt ärgerlich, weil mittlerweile jede Aussage über das Virus als politische Aussage verstanden werde, sagt Streeck. „Ich bin politisch geworden, ohne dass ich es wollte.“

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