Aus Liebe zur Eifel zurück in die Heimat

Daun · Aus anerkannten Geschäftsleuten werden Verfolgte: Das jüdische Ehepaar Grünbaum begibt sich 1942 auf eine gefährliche Flucht. Eine mutige Frau rettet ihnen das Leben.

 Kehrt nach dem Exil 1950 wieder nach Daun zurück: Max Grünbaum (links). Seine Frau Lina Grünbaum (Mitte) ist damals schon seit mehr als einem Jahr tot. Das Exil überleben beide nur dank ihr: Maria Hoffmann-Druscovic (rechts). Bis zur Befreiung Brüssels durch die alliierten Truppen im September 1944 lebten beide bei ihr auf dem Dachboden und im Keller.

Kehrt nach dem Exil 1950 wieder nach Daun zurück: Max Grünbaum (links). Seine Frau Lina Grünbaum (Mitte) ist damals schon seit mehr als einem Jahr tot. Das Exil überleben beide nur dank ihr: Maria Hoffmann-Druscovic (rechts). Bis zur Befreiung Brüssels durch die alliierten Truppen im September 1944 lebten beide bei ihr auf dem Dachboden und im Keller.

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Aus Liebe zur Eifel zurück in die Heimat
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 Frauen der Tietz AG erholen sich am Dauner Sauerbrunnen. Fotos (7): Archiv/Alois Mayer (2), KAUFHOF-ARCHIV (1); BelGischeS Staatsarchiv (2); PRIVAT (2)

Frauen der Tietz AG erholen sich am Dauner Sauerbrunnen. Fotos (7): Archiv/Alois Mayer (2), KAUFHOF-ARCHIV (1); BelGischeS Staatsarchiv (2); PRIVAT (2)

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 Von der 1911 von Grünbaum im Auftrag der Tietz AG eingerichteten Erholungsanlage für weibliche Angestellte des Kölner Warenhauses ist heute nur noch ein Haus übrig.

Von der 1911 von Grünbaum im Auftrag der Tietz AG eingerichteten Erholungsanlage für weibliche Angestellte des Kölner Warenhauses ist heute nur noch ein Haus übrig.

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 Ein Grabstein erinnert an die Familie Grünbaum.

Ein Grabstein erinnert an die Familie Grünbaum.

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 Anzeigen wie diese im „Westdeutschen Beobachter“ führen zum wirtschaftlichen Ruin jüdischer Geschäftsleute.

Anzeigen wie diese im „Westdeutschen Beobachter“ führen zum wirtschaftlichen Ruin jüdischer Geschäftsleute.

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Den "Kampf gegen die Warenhäuser" hatten die Nationalsozialisten schon 1920 in ihrem 25-Punkte-Programm als vordringliche Maßnahme zur Stärkung des gewerblichen Mittelstandes festgeschrieben.
Das NSDAP-Blatt, "Der Westdeutsche Beobachter", hetzte vor allem gegen das Kölner Großkaufhaus des deutschen Juden Leonard Tietz mit seinem Stammhaus in der Hohe Straße und seinen zahlreichen Filialen im Rheinland.

Der Aufstieg des Max Grünbaum bei Tietz
Der 1874 im hessischen Büdingen geborene Max Grünbaum gehörte seit 1901 dem Unternehmen an - seit 1905 als leitender Prokurist. Der wirtschaftliche Erfolg der Tietz K.G. basierte vor allem auf damals noch weitgehend unbekannten Handelsprinzipien: ausgezeichnete Festpreise, Barzahlung, Rückgaberecht und gebündelte Angebote (zum Beispiel komplette Kücheneinrichtungen). Nach dem Tod des Firmengründers wurde Grünbaum 1915 zeichnungsberechtigtes Vorstandsmitglied bei Tietz, seit 1905 Aktiengesellschaft L. Tietz.

Man schätzte Grünbaums Erfahrungen und profunden betriebswirtschaftlichen Kenntnisse, die er sich nach dem Abitur in Köln bei Firmen in Bremen und Antwerpen erworben hatte. Auf eigenen Wunsch schied Grünbaum im Juni 1931 aus dem Vorstand aus und wurde gleichzeitig zum stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt. Das Unternehmen beschäftigte zu diesem Zeitpunkt in 34 Filialen rund 15 000 Angestellte bei einem Jahresumsatz von 190 Millionen Reichsmark.
Schon vor der "Machtergreifung" hatte der Druck durch Boykott-Aktionen erheblich zugenommen, und bereits im Juli 1933 mussten alle Juden im Vorstand der Tietz A.G. ausscheiden.
Max Grünbaum war schon im April zwangsweise entfernt worden. Nach der vollständigen "Arisierung" 1936 hieß das Unternehmen "Westdeutsche Kaufhaus AG".

Von Köln nach Daun
Max Grünbaum hatte 1903 in Frankfurt am Main Lina Lahnstein geheiratet, die aus einer Frankfurter Kaufmannsfamilie stammte. Geschlossen wurde die Ehe vor dem Rabbiner Rudolph Plaut, einem entschiedenen Vertreter des liberalen Reformjudentums. Nach dem Weltkrieg war das Paar wie zahlreiche assimilierte Juden Deutschlands zum Protestantismus übergetreten.

Für die Nationalsozialisten spielte dieser Schritt keine Rolle - auch die Grünbaums galten als "Rassejuden".
Max Grünbaum, der 1933 noch weitere Aufsichtsratsposten - etwa bei der von ihm mitbegründeten Patria-Versicherungs AG in Köln - aufgeben musste, ließ sein Haus in Köln-Braunsfeld abreißen, um es dem Zugriff der Nazis zu entziehen, und nahm Wohnsitz in Daun, wo er seit 1909 ein aus Schweden importiertes Holzhaus auf dem Wehrbüsch und ein Jagdhaus in Weiersbach besaß.

Der passionierte Jäger Grünbaum hatte schon früh seine Liebe zur Eifellandschaft entdeckt und war bei seinen Ferienaufenthalten ein gern gesehener Gast in Daun.
Zudem hatte er 1929 an der Bahnlinie nach Gerolstein in der Boverather Straße eine Produktionsstätte für Kohlensäure und technische Gase wieder aufgebaut, die unter "Dauner Burgbrunnen Max Grünbaum & co. KG" firmierte.

Flucht nach England
Mit der erhofften Ruhe in der Eifel war es jedoch bald vorbei. Einen wohlhabenden Mann wie Max Grünbaum, in den Augen der Nazis ein "Schmarotzer am Volkskörper", ließ man nicht unbehelligt. Die Gestapo Trier bedrohte ihn mit Verhaftung. Rechtzeitig von Freunden in Daun gewarnt, können die Eheleute über Holland nach England entkommen.
Die wertvolle, mit 850 000 Reichsmark versicherte Gemäldesammlung und etliche Möbel hatte Grünbaum bereits bei seinem Wegzug aus Köln durch eine Düsseldorfer Spedition nach England verschickt, auch um dem Sohn Arnold den Abschluss seines Medizinstudiums zu ermöglichen. Vor dem Reichsfinanzhof gewinnt Grünbaum indessen einen von den Nazis initiierten Prozess wegen angeblicher Steuerflucht und er glaubt daher, im Dezember 1934 sicher nach Daun zurückkehren zu können. Dort ist der "Dauner Burgbrunnen" inzwischen beschlagnahmt sowie das gesamte Inlands-Vermögen mit einer Sicherungshypothek von 379 470 Reichsmark belegt.

Flucht nach Belgien
Als im April 1935 die Gestapo mit erneuter Verhaftung droht, flieht das Ehepaar nach Belgien und wohnt im Brüsseler Stadtteil Woluwe-Saint Pierre. Da Max Grünbaum in dieser Gemeinde bereits seit dem 29.11.1934 gemeldet und im Judenregister eingetragen war, kann man davon ausgehen, dass er mit weiteren Verfolgungen gerechnet haben muss. Die Einbürgerungsgesuche der Grünbaums werden zwar immer wieder abschlägig beschieden, sie können sich aber weitgehend frei in Belgien bewegen. Zeitweise lebte auch sein Sohn Arnold mit seiner in Larnaca in Zypern geborenen Frau Avghi bei den Eltern.
Das mit England eng verbundene Paar reiste im Mai 1941 nach Griechenland, um sich dem Widerstand gegen die deutschen Besatzer anzuschließen. Als Offizier der britischen Luftwaffe im Sanitätsdienst kommt Dr. Arnold Grünbaum 1944 unter bis heute nicht eindeutig geklärten Umständen ums Leben. Der ältere Bruder Martin Grünbaum (geboren 1905), war bereits 1928 auf einer Geschäftsreise in den USA bei einem Bahnunglück gestorben.

Untertauchen in Brüssel
Mit der Besetzung Belgiens ab Mai 1940 durch deutsche Truppen spitzte sich die Situation für die Grünbaums erheblich zu. Max Grünbaum wurde jedoch erst 1942 zunächst für 14 Tage verhaftet. Durch die Fürsprache belgischer Freunde kommt er wieder frei. Im Juni 1942 taucht das Ehepaar unter. Die Gestapo Düsseldorf fahndete im Dezember 1942 mittels "Steuersteckbrief" nach ihm. Nach dem Fahndungsgesuch sollte Grünbaum lediglich als "Zeuge" für das Reichsfinanzministerium vernommen werden, und er sei daher bei seiner Festnahme "pfleglich zu behandeln".
Bis zur Befreiung Brüssels durch die alliierten Truppen im September 1944 lebten Max und Lina Grünbaum auf dem Dachboden und im Keller von Maria Hoffmann-Druscovic, der Ehefrau des Psychoanalytikers Paul Ernst Hoffmann.
Als in Wien bekannter Gegner der Nazis konnte er nach einer Vortragsreise in Belgien aufgrund des "Anschlusses" Österreichs im März 1938 nicht mehr nach Wien zurückkehren. Professor Hoffmann - Jude und Schüler von Sigmund Freud - wurde 1940 in Brüssel verhaftet und nach Südfrankreich verschleppt, wo er in verschiedenen Lagern misshandelt wurde.
Im Herbst 1944 gelang ihm die Flucht in die Schweiz. Dort starb er im Dezember bei einer Magenoperation. Seine Witwe, eine Katholikin, wird zur Retterin von Max und Lina Grünbaum, die schon im November 1938 vom Deutschen Reich ausgebürgert worden waren und in Belgien als "Staatenlose" jederzeit von der Auslieferung an Nazi-Deutschland bedroht waren. Das umfangreiche Vermögen der Grünbaums in Deutschland war mit der Ausbürgerung endgültig "dem Reich verfallen".

Ehrenbürger der Stadt Daun
Lina Grünbaum starb im Januar 1949 in einem Brüsseler Krankenhaus im Alter von 75 Jahren - eine Rückkehr nach Deutschland hatte sie für sich ausgeschlossen. Max Grünbaums Anmeldung in Daun erfolgte bereits im Januar 1947. Mit der Urne seiner Frau kehrte er Anfang April 1950 endgültig nach Daun zurück, wo er schon im Mai 1949 zum ersten Ehrenbürger der Stadt ernannt worden war. Das Leben von Max Grünbaum endete am 5.12.1952 in Daun.
Der "Dauner Burgbrunnen", das Holzhaus im Philosophenweg und die beim Pogrom 1938 verwüstete Jagdhütte wurden nach Kriegsende rückerstattet. An Grünbaums soziales Wirken erinnert noch eines der Holzhäuser, das zu der 1911 von Grünbaum im Auftrag der Tietz AG eingerichteten Erholungsanlage für weibliche Angestellte des Kölner Warenhauses gehörte. Dort konnten sich bis zu 700 Frauen für 14 Tage auf Kosten der Firma ausruhen - die gute Eifelluft für die Städterinnen war ebenfalls gratis.

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