Bildung Die Pflicht der Erinnerung

Daun · Der Luxemburger Gerd Klestadt hat als einer der letzten jüdischen Holocaust-Überlebenden im Forum Daun vor rund 400 Schülern über seine Leidenszeit gesprochen.

 Einzige Dekoration auf der Forum-Bühne waren eine brennende Kerze und ein mit Asche und Erde aus einem KZ gefüllten Glas mit Judenstern. Foto: Brigitte Bettscheider

Einzige Dekoration auf der Forum-Bühne waren eine brennende Kerze und ein mit Asche und Erde aus einem KZ gefüllten Glas mit Judenstern. Foto: Brigitte Bettscheider

Foto: TV/Brigitte Bettscheider

Es war nun der zweite Besuch des Zeitzeugen Gerd Klestadt bei Dauner Schülern anlässlich des Jahrestags 27. Januar (siehe Info) nach seinem Bericht vor Zehntklässlern der Drei-Maare-Realschule plus im vorigen Jahr. „Eine solche Begegnung wird immer seltener zustande kommen“, begründete Thomas Follmann als der stellvertretende Schulleiter der Drei-Maare-Realschule plus seine Motivation, Klestadt noch einmal einzuladen und ihn gleichzeitig einem größeren Publikum zugänglich zu machen. So waren – unter der Schirmherrschaft von Stadtbürgermeister Martin Robrecht und mit finanzieller Unterstützung der Volksbank RheinAhrEifel – nun auch die Zwölftklässler der eigenen Fachoberschule (FOS) sowie die Zehnt- bis Zwölftklässler der beiden Dauner Gymnasien mit dabei. Macht 400 junge Menschen, die dem Zeitzeugen fast zwei Stunden ihre Aufmerksamkeit widmeten.

„Man kann es nicht erzählen, aber man darf es nicht verschweigen“, zitierte Gerd Klestadt den Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel. Er erklärte: „Meinen ursprünglichen Hass auf alles Deutsche gibt es nicht mehr. Doch ich möchte niemals in diesem Land leben.“ Er versicherte den Schülern: „Ihr seid schuldlos“ und räumte ein: „Ihr habt eine moralische Verantwortung.“

Er sprach von der „Pflicht der Erinnerung“ und eröffnete seinen Vortrag mit vier für den Holocaust typischen Fotomotiven: Judenstern, Leichenberge, brennende Synagoge, Adolf Hitler an der Seite von Heinrich Himmler.

Dann erzählte er die Geschichte seiner zerstörten Jugend. Er war als Kind des Juristen Bertholdt Klestadt und seiner Frau Ruth 1932 in wohlhabenden Verhältnissen in Düsseldorf auf die Welt gekommen. 1936 floh die inzwischen vierköpfige Familie in die Niederlande. 1943 erfolgte dort die Deportation in das Durchgangslager Westerbork. Am 1. Februar 1944 begann der Abtransport der Klestadts in das Konzentrationslager (KZ) Bergen-Belsen. Klestadt zeigte ein Klassenfoto: Von 30 Schülern überlebten nur er und ein anderer den Holocaust. Klestadt erzählte sein am meisten traumatisches Erlebnis: Eines Morgens war er in der KZ-Baracke neben seinem toten Vater aufgewacht.

Am 7. April 1945 wurden er und seine Mutter und sein jüngerer Bruder Peter in einem Zug, dem die Kohle ausgegangen war, auf freiem Feld nahe Magdeburg von Amerikanern befreit. Nach dem Kriegsende machte Gerd Klestadt in den Niederlanden sein Abitur und studierte Landwirtschaft. Er arbeitete in Israel, Amerika, Südafrika und ließ sich schließlich in Luxemburg nieder, wo er mit seiner Frau eine eigene Familie mit zwei Töchtern gründete.

Seit 2001 spricht Klestadt als Zeitzeuge vor Schülern und Studenten in Deutschland und im benachbarten Ausland. Um die 15.000 Zuhörer hatte er bisher. Wie in Daun legt er denen ans Herz: „Mischt euch ein, macht euch nützlich, zieht nicht die Gardinen zu, wenn etwas nicht in Ordnung ist.“ Dazu gibt er jedem eine bunte Glasmurmel mit. „Tragt sie bei euch, damit ihr nicht vergesst, gegen Unrecht anzugehen“, sagt er. Und gibt auf seine Frage, ob wir aus der Geschichte gelernt haben, selbst die Antwort „nix!“ – mit Blick auf  Völkermorde und Bürgerkriege in Ruanda und im Sudan, im Kongo, in Syrien und Somalia und wie die Brennpunkte der Welt sonst noch heißen.

 Gerd Klestadt im Alter von etwa zwölf Jahren

Gerd Klestadt im Alter von etwa zwölf Jahren

Foto: TV/Brigitte Bettscheider
 Gut 400 Schüler waren eingeladen, über den Holocaust aus erster Hand zu erfahren: (von links) Stadtbürgermeister und Schirmherr Martin Robrecht, Thomas Follmann, stellvertretender Schulleiter der Drei-Maare-Realschule plus, Zeitzeuge Gerd Klestadt sowie Sonja Heintz und Thomas Klassmann von der Volksbank. Foto: Brigitte Bettscheider

Gut 400 Schüler waren eingeladen, über den Holocaust aus erster Hand zu erfahren: (von links) Stadtbürgermeister und Schirmherr Martin Robrecht, Thomas Follmann, stellvertretender Schulleiter der Drei-Maare-Realschule plus, Zeitzeuge Gerd Klestadt sowie Sonja Heintz und Thomas Klassmann von der Volksbank. Foto: Brigitte Bettscheider

Foto: TV/Brigitte Bettscheider
 Holocaust-Überlebender Gerd Klestadt (85) war zu Gast in Daun.

Holocaust-Überlebender Gerd Klestadt (85) war zu Gast in Daun.

Foto: TV/Brigitte Bettscheider
 Jeder Schüler bekam eine bunte Glasmurmel von Gerd Klestadt, verbunden mit seinem Appell: „Tragt sie bei euch, damit ihr nicht vergesst, gegen Unrecht anzugehen.“ Foto: Brigitte Bettscheider

Jeder Schüler bekam eine bunte Glasmurmel von Gerd Klestadt, verbunden mit seinem Appell: „Tragt sie bei euch, damit ihr nicht vergesst, gegen Unrecht anzugehen.“ Foto: Brigitte Bettscheider

Foto: TV/Brigitte Bettscheider
 Jeder Schüler bekam eine bunte Glasmurmel von Gerd Klestadt, verbunden mit seinem Appell: „Tragt sie bei euch, damit ihr nicht vergesst, gegen Unrecht anzugehen.“

Jeder Schüler bekam eine bunte Glasmurmel von Gerd Klestadt, verbunden mit seinem Appell: „Tragt sie bei euch, damit ihr nicht vergesst, gegen Unrecht anzugehen.“

Foto: TV/Brigitte Bettscheider

„Ich bewundere Sie dafür, dass Sie so stark sind“, sagt am Ende Alina Pertzborn aus Brockscheid ins Mikrofon. Die 17-Jährige ist Schülerin der zwölften FOS-Klasse, und sie sagt außerdem unter dem Beifall des ganzen Saals: „Ich spreche Ihnen meine Hochachtung und meinen Respekt dafür aus, dass Sie sich nach allem, was Sie in Ihrer Kindheit und Jugend gesehen und erlebt haben, vor die Menschen stellen und von dem Unaussprechlichen berichten.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort