Interview Gerald Gass „Kommen nicht schnell an Belastungsgrenze“

Trier · Der Präsident der rheinland-pfälzischen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft äußert sich zur Lage in den Kliniken.

 Eine Krankenschwester legt auf der Isolierstation für Coronavirus-Behandlungen  ihre Schutzkleidung an, bevor sie ein Patientenzimmer betritt. 

Eine Krankenschwester legt auf der Isolierstation für Coronavirus-Behandlungen  ihre Schutzkleidung an, bevor sie ein Patientenzimmer betritt. 

Foto: dpa/Jens Büttner

() Wenn in Kliniken die Schutzausrüstung für Pfleger und Ärzte ausgeht, dann können dort keine Corona-Patienten mehr behandelt werden. Davor warnt Gerald Gaß. Der Wittlicher ist Präsident der rheinland-pfälzischen sowie der Deutschen Krankenhausgsellschaft Seit 2008 ist er zudem Geschäftsführer der Landeskrankenhusgesellschaft. Unser Redakteur Bernd Wientjes befragte Gaß zu den Folgen der Corona-Krise für die Krankenhäuser.

Herr Gaß, es heißt immer, die Kliniken sind auf die Corona-Pandemie vorbereitet. Gleichzeitig schlagen die Häuser Alarm, weil Schutzausrüstung fehlt. Wie passt das zusammen?

GERALD GASS Die Kliniken haben sich mit allen ihren zur Verfügung stehenden Möglichkeiten vorbereitet. Das heißt ganz konkret, es wurden planbare Operationen und Behandlungen soweit medizinisch vertretbar zurückgestellt, um freie Kapazitäten zu haben. Es wurden zusätzliche Intensivbetten und Beatmungsplätze geschaffen, um die erwarteten schwerkranken Covid-19-Patienten zu versorgen. Es wurden vielfach Fieberambulanzen eingerichtet, um die Hausärzte zu entlasten und die regionalen Gesundheitsämter zu unterstützen. Auch in der Region Trier haben sich die Krankenhäuser organisatorisch abgesprochen und Schwerpunktaufgaben festgelegt. Zum Teil wird Personal völlig unbürokratisch zur Verfügung gestellt. Diese Lagebeschreibung zeigt, dass wir alles tun, was möglich ist. Die fehlende Schutzausrüstung ist ein Problem, das die Krankenhäuser praktisch seit Mitte Januar nicht mehr selbst lösen konnten. Die Lieferketten waren abgerissen und die Nachfrage bei den Lieferanten wird durch die weltweiten Bestellungen massiv beeinflusst. Hier müssen sich die Krankenhäuser auf die Unterstützung und die Möglichkeiten des Bundes und der Länder verlassen können. Bis auf kleine Mengen ist eine individuelle Beschaffung durch die Kliniken nicht mehr möglich.

Wie stellt sich aktuell die Situation in den Kliniken im Land dar?

GASS Wir haben eine unterschiedliche Bevorratungslage, aber überall wird es in den kommenden Wochen eng. Es gab bereits in der vergangenen Woche einzelne Häuser, die Teillieferungen durch das Land erhalten haben, um ihren Betrieb aufrechtzuerhalten.

Wie lange reicht die Schutzausrüstung noch?

GASS Das lässt sich nicht allgemein beantworten. Die aktuelle Bevorratungslage in den einzelnen Kliniken reicht zwischen wenigen Tagen bis zu vier Wochen.

Wie ist es zu diesem Engpass gekommen?

Die Krankenhäuser haben in der Regel einen Vorrat an solchen Materialien, der rund zwei Monatsverbräuche umfasst. Eine darüber hinausgehende Bevorratung war nie erforderlich, da die Lieferzeiten für solche Produkte nur wenige Tage betragen haben. Durch die schnelle Entwicklung der Pandemie lagen zwischen der Möglichkeit, Nachschub zu ordern und dem faktischen Lieferstopp aus Asien nur wenige Tage. Mit diesem Problem sind wir seit Mitte Januar konfrontiert.

Was bedeutet es, wenn nicht rechtzeitig Nachschub kommt?

GASS Wenn in einzelnen Kliniken die Schutzausrüstung ausgeht, können dort keine Infektionspatienten mehr behandelt werden. Auch sonstige Behandlungen müssten eingeschränkt werden, da auch im Regelbetrieb bestimmte Schutzbekleidung gebraucht wird, um die Verbreitung von Keimen zu reduzieren.

Bund und Länder haben für die Kliniken einen Rettungsschirm gespannt. Reichen die Hilfen aus?

GASS Es ist im Moment noch nicht absehbar, ob die durch das Gesetz zur Verfügung gestellten Finanzmittel ausreichen werden. Da die Betroffenheit der Krankenhäuser in der jetzigen Situation unterschiedlich sein wird, werden sich auch die finanziellen Hilfen unterschiedlich auswirken. Für uns steht jetzt zunächst im Vordergrund, dass die angekündigten Finanzmittel schnell und unbürokratisch zu den Krankenhäusern fließen, damit wir die Bezahlung unserer Mitarbeiter und der ausstehenden Rechnungen rechtzeitig hinbekommen.

Welche finanziellen Belastungen kommen durch die Corona-Krise auf die Kliniken zu?

GASS Wir haben höhere Ausgaben und gleichzeitig wegfallende Einnahmen durch die verschobenen Operationen und Behandlungen. Da sind zunächst natürlich die zusätzlichen Ausgaben der Krankenhäuser für die neu geschaffenen Intensiv-Behandlungs- und Beatmungsplätze. Hier kalkulieren wir Ausgaben von rund 85 000 Euro pro zusätzlich geschaffenem Platz. Weiterhin führen die massiv gestiegenen Kosten für die persönliche Schutzausrüstung aber auch zum Teil bei Medikamenten und anderen Produkten zu höheren Ausgaben bei den Krankenhäusern. Darüber hinaus rechnen wir mit Mehrkosten im Personalbereich für Überstunden und zusätzliche Honorarkräfte. Diesen zusätzlichen Ausgaben stehen Mindereinnahmen gegenüber, die aus dem Freihalten der Betten resultieren, um in den kommenden Tagen und Wochen die Covid-19-Patienten aufzunehmen.

Alle Kliniken haben ihre Intensivkapazitäten hochgefahren. Trotzdem warnt RKI-Chef Lothar Wieler vor Engpässen in Deutschland. Gehen Sie davon aus, dass die Kapazitäten in den Kliniken nicht ausreichend sein könnten?

GASS Ich halte in dieser Situation wenig von Prognosen, die sich auf mehrere Monate in die Zukunft erstrecken. Natürlich können wir auch bei uns Verhältnisse wie in Italien oder Frankreich nicht völlig ausschließen. Aber das wahrscheinliche Szenario ist angesichts der aktuellen Entwicklung und der von der Politik ergriffenen Maßnahmen nach meiner Einschätzung ein anderes. Wir sehen anhand der Infektionskurven anderer Staaten, die bereits Wochen vor uns eine konsequenter Einschränkung des öffentlichen Lebens vollzogen haben, dass dort die Infektionskurven und damit auch die Anzahl der Patienten, die in die Krankenhäuser kommen, begrenzt werden konnten. Wir verfügen über deutlich mehr Intensivbetten und Beatmungsbetten als Italien, Frankreich und Spanien. Wir werden deshalb nicht ganz so schnell an die totale Belastungsgrenze unserer Möglichkeiten kommen. Gleichzeitig erwarte ich aufgrund der Erfahrung anderer Länder, dass die Ausgangsbeschränkungen Wirkung zeigen.
Einzelne Kliniken werden in den kommenden Wochen voll belegt sein und dort werden dann auch die Beatmungsbetten knapp. Ich bin dennoch zuversichtlich, dass wir durch die Verteilung der Patienten auf alle verfügbaren Kliniken absehbar ausreichend Behandlungsmöglichkeiten haben werden.

In Frankreich werden wegen fehlender Beatmungsgeräte über 80-Jährige, die unabhängig von Corona beatmet werden müssen, sterben gelassen. Ist so etwas schlimmstenfalls auch in Deutschland denkbar?

GASS Das ist nicht völlig ausgeschlossen, wenn die Infektionszahlen trotz aller ergriffenen Maßnahmen hoch bleiben und gerade auch die ältere Bevölkerung durch das Coronavirus infiziert wird. Wir tun gerade alles, um diese Situation zu vermeiden.

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